Neurologen und Psychiater im Netz

Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen

Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Psychopharmaka im Alter

Für die Behandlung psychischer Störungen im Alter ist die Verabreichung von Psychopharmaka wie auch im jungen und mittleren Lebensalter, in vielen Fällen unerlässlich und die Wirksamkeit im klinischen Verlauf oft genauso gut wie in den anderen Lebensphasen. Bei vielen zugelassenen Medikamenten liegen jedoch keine Studienergebnisse zum hohen Lebensalter vor und somit ist ein enger klinischer Blick auf die Wirksamkeit und Dosisanpassung durch den behandelnden Arzt, sowie seine Erfahrung im Umgang mit alten psychisch kranken Menschen von hoher Bedeutung und Notwendigkeit.

Wie auch in anderen Lebensabschnitten ist die Psychopharmakotherapie ein Pfeiler in dem komplexen Behandlungssetting psychischer Erkrankungen, das auch soziotherapeutische und psychotherapeutische Behandlungsansätze je nach Erkrankungsart und -stadium in unterschiedlicher Intensität integrieren muss.

Veränderte Reaktionen des Körpers im Alter

  • Das Gehirn verändert sich mit zunehmendem Alter, es wird anfälliger bei Störungen des Metabolismus oder der Durchblutung und kann sensibler auf die Medikamente reagieren, die nicht primär Psychopharmaka sind (z.B. Antibiotika).
     
  • Der veränderte Stoffwechsel im alternden Körper beeinflusst bei gleichzeitig sinkender Organfunktion die Wirksamkeit, Verträglichkeit und den Ausscheidungsprozess von Medikamenten.
     
  • Der Wasseranteil des Körpers nimmt um etwa 40% ab, der Körperfettanteil steigt hingegen um 35%. Das hat erheblichen Einfluss auf Verteilung und Abbau von Arzneien, insbesondere deren wasserlösliche (hydrophile) und fettlösliche (lipophile) Substanzen.
     
  • Durch die Zunahme an altersbedingten Erkrankungen leiden ältere Patienten an mehreren Erkrankungen gleichzeitig (Multimorbidität), die jeweils dank einer steigenden medizinischen Expertise mit differenzierten medikamentösen Therapien behandelt werden können (Polypharmazie). Im Durchschnitt sind es fünf Erkrankungen und Studien zeigen, dass über 65jährige durchschnittlich zwei bis sechs ärztlich verordnete und zusätzlich ein bis zwei selbst verordnete Medikamente einnehmen. Das erhöht das Risiko von unerwünschten Wechsel- und Nebenwirkungen und macht die regelmäßige Überprüfung der Notwendigkeit von Medikamentenverordnungen erforderlich.

Grundsätze bei der Behandlung

Aus den Veränderungen des Körpers lassen sich Grundsätze für die medikamentösen Therapie im Alter ableiten:

  • Die Dosierung sollte niedrig angesetzt und langsam einschleichend erfolgen („Start low, go slow“). Nicht immer ist dazu eine Empfehlung in der Produktinformation enthalten und die Entscheidung liegt bei dem verordnenden Arzt, der dazu auf seine Erfahrungen im Umgang mit alten psychisch kranken Menschen zurückgreifen muss. Da im höheren Lebensalter die Konzentration von Medikamenten im Blut z.B. durch Störungen der Aufnahme aus dem Darm auch niedriger als erwartet sein kann, können in Einzelfällen bei ausbleibender Wirkung auch höhere Dosierungen als üblicherweise notwendig sein. Eine Bestimmung der Blutspiegel des Medikaments hilft hier weiter.
     
  • Medikamente mit aktiven Metaboliten oder einer sehr langsamen Halbwertszeit und der langsameren Verstoffwechselung und Ausscheidung beim alten Menschen führen zu der Gefahr einer Überdosierung und Intoxikation. Daher ist besondere Überwachung bei der Verordnung dieser Medikamente erforderlich.
     
  • Wechselwirkungen mit anderen Präparaten müssen erkannt und engmaschig überprüft werden.
     
  • Nicht nur das Ansetzen, sondern auch das Absetzten oder Umstellen eines Medikaments muss langsam erfolgen.
     
  • Die Compliance der Patienten hängt in besonderem Masse auch von der Darreichungsform ab, beispielsweise bei der Notwendigkeit Tabletten zu teilen oder Tropfen zu zählen, was motorisch für alte Menschen eine wesentliche Schwierigkeit darstellen kann. Daher ist es ratsam, die Darreichungsform mit dem Patienten oder seinem pflegenden Angehörigen abzustimmen und in entsprechenden Fällen auch die kleinere Dosierungsform oder andere Darreichungsform zu verschreiben, auch wenn sie kostenungünstiger sein sollte, mit dem Ziel die Compliance zu sichern. 
     
  • Therapiestrategien sollten bei Polypharmazie und Multimorbidität regelmäßig überprüft werden. Dazu ist ein Austausch zwischen den verordnenden Ärzten notwendig und eine klinische Expertise in der Pharmakotherapie alter Menschen.

Psychopharmaka

Abhängig von der psychischen Erkrankung und den dazugehörigen individuell auch unterschiedlich stark ausgeprägten Begleitsymptomen kommen bei Patienten im höheren Lebensalter verschiedene Wirkstoffgruppen zum Einsatz:

  • Antidepressiva: Unter dieser Wirkstoffklasse wird eine Gruppe von Medikamenten zusammengefasst, die bei depressiven Erkrankungen die Stimmung wieder aufhellen und den Antrieb normalisieren, sowie mögliche kognitive Symptome verbessern und vor einem erneuten Erkrankungsrückfall schützen können. Zugleich verringern sie durch die antidepressive Wirksamkeit auch die körperlichen Begleitsymptome wie beispielsweise Schmerzen oder  Schlafstörungen und Magen-Darm-Beschwerden. Ferner werden sie bei Angsterkrankungen erfolgreich eingesetzt sowie bei der Behandlung von Zwangsstörungen.
     
  • Antipsychotika: Unter dieser Wirkstoffklasse wird eine Gruppe von Medikamenten zu-sammengefasst, die primär zur Behandlung von Psychosen entwickelt worden sind und zusätzlich bei der Behandlung von Delirien, psychotischen Symptomen bei Depression und Demenz sowie bei Aggressivität bei Demenzen eingesetzt werden. Die Profile der Neuroleptika unterscheiden sich je nach antipsychotischer und sedierender Potenz und werden danach auch spezifisch eingesetzt. Das Nebenwirkungsprofil ist je nach Wirkstoffgruppe unterschiedlich und gerade bei der sedierenden Wirkung muss der Einsatz sorgfältig mit der erhöhten Sturzgefahr unter der Behandlung abgewogen werden. Eine dauerhafte Therapie mit Antipsychotika ist bei Psychosen häufig indiziert, um einen Erkrankungsrückfall mit allen körperlichen Konsequenzen zu verhindern. Grundsätzlich gilt jedoch bei der symptomatischen Behandlung mit Neuroleptika (bei Delir, Demenz, Depression), dass auf eine möglichst kurze und niedrig dosierte Verordnung geachtet werden muss. Für einige Präparate haben wissenschaftliche Studien ein erhöhtes vaskuläres Risiko oder bestimmte Bewegungsstörungen (tardive Dyskinesien) nachweisen können. Das ist besonders zu beachten, da Neuroleptika im klinischen Alltag auch abweichend von ihrer Zulassung als Beruhigungs-und Schlafmittel bei alten Menschen eingesetzt werden.
     
  • Stimmungsstabilisatoren: Zu dieser Gruppe gehört Lithium, das zur akuten und auch dauerhaften  Behandlung (Phasenprophylaxe) manisch-depressiver Episoden sowie ergänzend zu Antidepressiva bei rezidivierenden schweren Depressionen eingesetzt wird. Sein Einsatz erfordert eine gute Nieren- und Schilddrüsenfunktion und regelmäßige Überwachung. Ein Absetzen nach jahrelanger Therapie zum Rückfallschutz, beispielsweise wenn es zu einer Nierenfunktionsverschlechterung kommt, bedarf einer besonders sorgfältigen Abwägung und Umstellung auf einen alternativen Rückfallschutz.
     
  • Antiepileptika  werden zur Therapie bei Manien und Depressionen in der akuten Phase und zum Rückfallschutz (Phasenprophylaxe) verwendet. Auch hier ist auf die Nieren-und Leberfunktion zu achten und im höheren Lebensalter auch auf die Entwicklung von deliranten Symptomen unter der Aufdosierung.
     
  • Antidementiva dienen der Verlangsamung eines demenziellen Prozesses und sind zur Behandlung von Alzheimerdemenz und gemischten Demenzen vom Alzheimertyp sowie zur Behandlung der Parkinsondemenz zugelassen. Bei Alzheimerdemenzen und gemischten Demenzen werden Cholinesterase-Inhibitoren (z.B. Donepezil, Galantamin, Rivastigmin) im leichten und mittelschweren Stadium eingesetzt und der NMDA-Rezeptoantagonist Memantine bei mittelschweren und schweren Demenzstadien. Rivastigmin wird zur Behandlung der Parkinsondemenz eingesetzt.
     
  • Benzodiazepine wirken angst- und spannungslösend, schlaffördernd, muskelentspannend sowie antiepileptisch. Sie bergen ein hohes Abhängigkeitspotential, daher sollten nur kurzwirksame Benzodiazepine (z.B. Lorazepam, Oxazepam) über eine zeitlich begrenzte Dauer eingesetzt werden. Unter Umständen werden Schlafapnoen verstärkt, es kommt zu Atemdepression oder Gleichgewichtsstörungen mit Sturzneigung, die besonders beim alten Patienten zu beachten ist.

Fachliche Unterstützung: Prof. Dr. med. Vjera Holthoff, Dresden (DGPPN) und Dr. Lutz M. Drach (DGGPP)