Neurologen und Psychiater im Netz

Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen

Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Fragen und Antworten zur Psychoedukation

Was wird in den psychoedukativen Gruppen gemacht?

Im Mittelpunkt stehen das gemeinsame Gespräch und der gemeinsame Erfahrungsaustausch zwischen den Teilnehmern untereinander und dem Gruppenleiter. Darauf aufbauend sollen die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse so vermittelt werden, dass die Patienten und Angehörigen einen vernünftigen Überblick über die Erkrankung und die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen bekommen.

Neben dieser Informationsvermittlung spielt die gleichzeitige emotionale Entlastung eine ganz wesentliche Rolle. Mit emotionaler Entlastung ist gemeint, dass die gefühlsmäßige Betroffenheit und die Erschütterung, die mit der Erkrankung verbunden sein können, entsprechend aufgefangen und bearbeitet werden.

Durch die klar gegliederte Informationsvermittlung soll den Betroffenen geholfen werden, die persönlichen Erlebnisse in ein gewisses System einzuordnen. Bei der Erarbeitung der einzelnen Themen wird selbstverständlich auf das bereits bestehende Vorwissen der Teilnehmer aufgebaut. Es werden ihnen ergänzende Informationen geliefert, sie werden beraten und bei Zweifeln entsprechend unterstützt.

Die Betroffenen werden motiviert, die erforderlichen Therapiemaßnahmen auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen, gesundheitsförderndes Verhalten zu entwickeln und sie erhalten Unterstützung, um allmählich Sicherheit und Gelassenheit im Umgang mit ihrer Erkrankung zu bekommen.

Den Schwerpunkt der einzelnen Unterkapitel stellt die Psychoedukation im Rahmen der Behandlung einer Schizophrenie dar*.

Für wen ist Psychoedukation Hilfreich?

Psychoedukation ist für Patienten und für Angehörige gedacht. Sie kommt im Prinzip bei allen psychischen Krankheiten und auch bei vielen psychisch belastenden körperlichen Erkrankungen (z.B. Zuckerkrankheit, Tinnitus, Neurodermitis, Asthma, Krebs, AIDS, Herzerkrankungen) in Frage. Allerdings gibt es noch nicht für alle Krankheitsbilder entsprechend ausgearbeitete Therapiekonzepte.

Die meisten Erfahrungen und auch wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit im Bereich der Psychiatrie gibt es bisher für psychoedukative Gruppen bei schizophrenen und schizoaffektiven Psychosen. Psychoedukation ist gerade hier besonders wichtig, da über "Schizophrenie" nach wie vor in der Gesellschaft wenig Wissen vorhanden ist, sie als rätselhafte Krankheit gilt und mit vielen Vorurteilen belegt ist, mit denen die Betroffenen und ihre Familien zusätzlich zu kämpfen haben.

Auch bei depressiven Erkrankungen haben sich psychoedukative Gruppen immer mehr durchgesetzt. Bei vielen weiteren Störungsbildern gibt es mittlerweile ermutigende Konzepte: Manisch-depressiven (= bipolaren) Erkrankungen,  Zwangsstörungen, Angststörungen,  Suchterkrankungen, Ess-Störungen, Persönlichkeitsstörungen, demenzielle Erkrankungen (hauptsächlich für Angehörige).

Für wen sind psychoedukative Gruppen nicht geeignet?

Eigentlich gibt es keine schwerwiegenden Gründe, die gegen die Teilnahme an einer psychoedukativen Gruppe sprechen. Ganz akut erkrankte Patienten mit einer schizophrenen Psychose, die unter massiven Denk-, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen leiden, sind zu Beginn ihrer Erkrankung häufig überfordert, wenn zu viele Informationen auf sie einströmen. In diesem Zustand wäre auch der Besuch von derartigen Gruppen nicht zu empfehlen.
Ausgeprägte Ängste, vor allem Ängste vor Gruppen, können zunächst eine deutliche Erschwernis darstellen. Bei entsprechend erfahrenen Gruppenleitern und vorher besprochenen Möglichkeiten zur Bewältigung von solchen Gruppenängsten kann die Gruppenteilnahme sogar helfen, diese Angst zu überwinden.

Sehr unruhige oder durch eine Manie sich überdreht fühlende Patienten sollten erst noch etwas abwarten und erst dann derartige Gruppen besuchen, wenn sie wieder ruhiger geworden sind, sich wieder etwa eine halbe Stunde konzentrieren und dem Gruppengeschehen besser folgen können.


Warum psychoedukative Gruppen auch für Angehörige?

Über die Hälfte aller Patienten wohnen nach der Klinikentlassung wieder bei ihren Angehörigen. Damit die Angehörigen die anfänglichen Probleme der Patienten, deren Ängste und deren Niedergeschlagenheit besser verstehen können, müssen sie sehr gut über diese Erkrankung informiert werden. Insbesondere müssen die Angehörigen auch gut Bescheid wissen über die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen. Um unterscheiden zu können, ob eine bestehende Antriebsschwäche Auswirkung der Erkrankung oder Folge von medikamentösen Nebenwirkungen ist, braucht man ein fundiertes Wissen. Häufig sind die Angehörigen auch verunsichert, ob das Abschotten von Patienten und der Rückzug in die eigenen vier Wände als "Bequemlichkeit" oder Zeichen der krankheitsbedingten Überforderung einzuschätzen ist. Angehörige, die keine Gelegenheit hatten, sich hierzu gezielt zu informieren, geraten im Zweifelsfalle immer wieder in Gefahr, sich "überkritisch, feindlich oder zu überbesorgt" zu verhalten.

Andererseits konnte wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass gut angeleitete Angehörige eine ganz wesentliche Stützfunktion zu Hause besitzen und das Rückfallrisiko bei verschiedenen psychischen Erkrankungen signifikant reduzieren...

Deshalb wäre es geradezu eine Vergeudung des wertvollen Unterstützungsvermögens der Angehörigen, wenn diese nicht in psychoedukativen Gruppen auf ihre "Co-Therapeuten"-Aufgabe vorbereitet würden. In der Regel profitieren Patienten ganz erheblich von der Teilnahme ihrer Angehörigen an psychoedukativen Gruppen.

Für die Angehörigen selbst kann der gemeinsame Erfahrungsaustausch sehr entlastend wirken! Das direkte Erlebnis, dass sich auch andere Familien in der Bewältigung der Erkrankung oftmals überfordert fühlen, kann sehr befreiend und erleichternd wirken. Durch das Beispiel anderer Familien können zudem neue Wege der Bewältigung gefunden werden*.

Fachliche Unterstützung: Dr. med. Josef Bäuml u. Dipl.-Psych. Dr. Gabi Pitschel-Walz, 2005