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Warum kann eine Kunsttherapie bei Angststörungen helfen?

© trendyrowdy_Fotolia.com

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Eine Kunsttherapie kann - insbesondere bei Menschen mit Angsterkrankungen, die Schwierigkeiten haben, sich verbal auszudrücken oder traumatisiert sind - dazu beitragen, Ängste abzubauen und die psychische Gesundheit zu verbessern.

Wenn Sorgen oder Ängste in unrealistischer Weise übersteigert sind, spricht man von einer Angsterkrankung, die im sozialen Kontext (als soziale Phobie), durch bestimmte Situationen oder Objekte (als Panikstörung bzw. spezifische Phobien) oder auch ohne bestimmte Auslöser (als generalisierte Angststörung) hervorgerufen werden kann. Angsterkrankungen zählen neben Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. „Die am besten wirksame Psychotherapie zur Behandlung von Angsterkrankungen ist eine kognitive Verhaltenstherapie. Betroffene – insbesondere auch Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich verbal auszudrücken oder traumatisiert sind - können aber zusätzlich u. U. auch von einer Kunsttherapie profitieren, die individuell oder in einer Gruppe unter professioneller Anleitung durchgeführt wird“, erklärt Prof. Dr. med. Gereon Nelles, Facharzt für Neurologie und Psychotherapeut in Köln und Vorstandsmitglied des Berufsverbands Deutscher Nervenärzte (BVDN). Kunsttherapie wird vor allem im rehabilitativen Bereich angewandt: nach Unfällen, Traumata, Krebserkrankungen, bei Behinderung und Demenz. Auch bei kindlichen Entwicklungsstörungen lässt sie sich erfolgreich einsetzen.

Was zählt ist nicht das Ergebnis, sondern der kreative Prozess

In der Kunsttherapie gibt es keine feststehenden Regeln oder Vorgaben – was zählt ist nicht das Ergebnis, sondern der kreative Prozess. „Kreative Aktivitäten wie Zeichnen, Malen, Modellieren, Skizzieren oder Kritzeln, können dabei helfen, mit Stress leichter umzugehen und Emotionen besser zu kontrollieren, indem sie den Ausdruck und das Ausleben von Gefühlen erleichtern und eine kreative Form der Auseinandersetzung ermöglichen“, erläutert Prof. Nelles. Kunsttherapie ist daher entspannungsfördernd und kann dazu beitragen, Ängste abzubauen und die psychische Gesundheit zu verbessern. Im Gehirnstoffwechsel kann eine Kunsttherapie nachweislich auch die Verfügbarkeit des Neurotransmitters Dopamin, der bei vielen Patienten mit Angststörungen verringert ist, wieder erhöhen, so dass sie sich ausgeglichener und glücklicher fühlen. Kunsttherapie fördert außerdem die Achtsamkeit, dadurch können die meisten Patienten sich ihrer Gedankengänge, innerer Prozesse und ihres Befindens stärker bewusstwerden und möglicherweise das Ausmaß ihrer körperlichen Stressreaktionen reduzieren und emotional stabiler werden. Das kann auch dazu beitragen, eigene Anliegen aus anderen Blickwinkeln zu betrachten und neue Handlungsspielräume zu erschließen.

Voraussetzung ist, dass die Aktivitäten Spaß machen

„Die positiven Effekte einer Kunsttherapie sind bislang nur in kleineren Studien untersucht worden und waren nicht durchweg, sondern nur in Einzelfällen deutlich erkennbar, was aber auch auf die Methodik und den Aufbau der bisherigen Studien zurückzuführen sein kann“, betont Prof. Nelles. Dabei dürfte eine Kunsttherapie umso effizienter sein, je mehr Therapiesitzungen die Patienten absolvieren. Insofern kann es auch für Teilnehmer, die meinen, nach den ersten Sitzungen keinen unmittelbaren Effekt wahrnehmen zu können, sich möglicherweise lohnen, die Therapie fortzuführen, wobei es unerheblich ist, wie und mit welchen Mitteln sie kreativ werden. Voraussetzung ist nur, dass ihnen die Aktivität Spaß macht und sie sie wiederholen wollen.

Unbehandelte Angststörung kann sich immer mehr verselbstständigen

„Bleibt eine Angststörung unbehandelt, so kann sie sich immer mehr verselbstständigen und chronifizieren. Dies kann die psychosoziale Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigen“, warnt Prof. Nelles. Dann kann es zur „Angst vor der Angst" (sog. Erwartungsangst) kommen – d.h. Angst auslösende Orte und Situationen werden vermieden. Betroffene ziehen sich zunehmend aus dem Leben zurück, leiden unter mangelndem Selbstvertrauen und einem Gefühl des Ausgeliefertseins, außerdem quälen sie sich häufig mit Ein- und Durchschlafstörungen und haben aufgrund der Auswirkungen ihrer Krankheit oft Probleme in der Partnerschaft, Familie oder im Berufsleben. Manchmal wird als falsch verstandener „Selbstbehandlungsversuch" auch Alkohol konsumiert, da dieser kurzfristig die Angst lindern kann. Eine Gefahr liegt auch im Dauergebrauch von Beruhigungsmitteln wie den Benzodiazepinen, die nur für den kurzfristigen Einsatz geeignet sind.

Quellen:

DGPPN: S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen, 2019

Dissertation von Johanna Stefanie Eberl, 2016, an der Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Direktor: Prof. Dr. Johann Förstl): "Der Stellenwert der Kunsttherapie in der stationär-psychiatrischen Behandlung aus Sicht der Patienten und Kunsttherapeuten. Ein Vergleich von schizophren und affektiv erkrankten Patienten."

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