Neurologen und Psychiater im Netz

Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen

Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Entspannungsverfahren: Progressive Muskelentspannung

Dieses Verfahren ist nicht nur am leichtesten zu erlernen, sondern es ist auch am besten wissenschaftlich untersucht und ist daher im Allgemeinen den anderen Entspannungsverfahren vorzuziehen. Für den Einzelnen können natürlich auch andere Methoden hilfreich sein.  

Der amerikanische Physiologe Edmund Jacobson (1885–1976) gilt als der Begründer der progressiven Muskelentspannung. Er hatte im Jahr 1929 entdeckt, dass sich die Muskelspannung bei Gefühlen der Unruhe oder Erregung deutlich erhöht. Umgekehrt reduziert sich Angst, wenn es gelingt, die Muskelspannung zu verringern. Während die progressive Muskelentspannung in ihrer ursprünglichen Form in über 50 Sitzungen erlernt werden musste, praktiziert man heute verschiedene vereinfachte Versionen: Sie enthält eine verringerte Zahl an Übungen und kann in nur wenigen Stunden erlernt werden.

Das Prinzip der Progressiven Muskelentspannung

Eine Muskelgruppe kann sehr effektiv entspannt werden, wenn man sie vorher willkürlich anspannt. Bei der progressiven Muskelentspannung macht man sich den Effekt zunutze, dass die Entspannung von Muskelgruppe zu Muskelgruppe übertragen wird, worauf weitere Entspannungsprozesse im gesamten Körper folgen. So sinkt etwa der Blutdruck, Pulsschlag und Darmtätigkeit werden reduziert, und auch die Atmung wird ruhiger.

Durchführung der Progressiven Muskelentspannung

Die Übungen werden im Liegen oder in einem bequemen Sessel ausgeführt. Dabei arbeitet man mit einer Muskelgruppe nach der anderen, spannt sie an, hält die Spannung kurze Zeit und lässt dann los – beginnend mit der rechten Hand, über die Arme bis zu Gesicht und Nacken, dem Rücken, dem Bauch und schließlich der Beine und Füße. Sowohl während des Anspannens als auch während des Entspannens wird die Aufmerksamkeit auf die mit der Muskeltätigkeit verbundenen Empfindungen gelenkt. Im Laufe des Trainings soll man unterscheiden lernen, wie sich normale und überhöhte Anspannung anfühlen: Der Körper soll bewusst wahrgenommen werden. In einer fortgeschrittenen Lernphase geht es dann ähnlich wie im autogenen Training darum, sich die mit dem „Loslassen“ verbundenen Empfindungen zu vergegenwärtigen – um auch auf diese Weise (z.B. im Alltag) entspannen zu können.

Anwendung der Progressiven Muskelentspannung

Die Methode wird bei einer Vielzahl von psychischen und körperlichen Störungen zur unterstützenden Behandlung eingesetzt. Sie ist u.a. häufig Bestandteil der so genannten systematischen Desensibilisierung. Der Patient bewältigt z.B. hierbei seine Angst, indem er unter Einsatz von Entspannungsmethoden schrittweise mit dem Angst auslösenden Objekt oder der beängstigenden Situation konfrontiert wird. Die progressive Muskelentspannung führt zu Ruhe und Gelassenheit, wirkt gegen bestimmte Formen von Schlafstörungen und verbessert allgemein die Stressverträglichkeit. Besonders eignet sie sich daher bei nervösen und innerlich unruhigen Patienten.

Wichtig ist z.B. in der Anwendung bei Schlafstörungen, dass zuerst die Methode erlernt wird, bevor sie in der schwierigen Situation eingesetzt wird. D.h. man muss erst die Erfahrung gemacht haben, dass man zuverlässig bei starker Anspannung einen Entspannungszustand erreichen kann. Erst dann ist es sinnvoll, nachts bei Schlaflosigkeit, wenn Unruhe und Nervosität eine Rolle spielen (was nicht bei allen Formen von Schlafstörungen der Fall ist), das Verfahren auch anzuwenden.

Darüber hinaus ist sie hilfreich bei chronischen Schmerzen, z.B. ist die Wirksamkeit bei chronischem Spannungskopfschmerz belegt.

Da sie von allen Entspannungsverfahren am leichtesten erlernt werden kann, ist sie auch bei motorisch unruhigen, überaktiven Kindern sinnvoll. Nicht angezeigt ist die progressive Muskelentspannung bei akuten Psychosen, Muskelerkrankungen und Muskelkrämpfen.

Fachliche Unterstützung: Prof. Dr. med. Peter Falkai, Göttingen (DGPPN) und Prof. Dr . med. Anita Riecher-Rössler, Basel (SGPP), , Dr. Roger Pycha, Bruneck (SIP)