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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Zwangserkrankungen - Therapie

Als wirksam hat sich in erster Linie ein bestimmtes Psychotherapieverfahren, die kognitive Verhaltenstherapie mit Exposition und Reaktionsmanagement, und eine medikamentöse Therapie mit bestimmten Antidepressiva (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) erwiesen. Eine frühzeitige Therapie ist wichtig, um die zahlreichen Folgen der Erkrankung zu verhindern. Aber auch wenn die Krankheit schon Jahrzehnte besteht, kann die richtige Therapie noch sehr erfolgreich sein. Die Symptome verschwinden zwar nur bei einem Teil der Patienten völlig, für viele Patienten erhöht sich die Lebensqualität aber oft schon enorm, wenn die Zwangsgedanken und -handlungen an Intensität abnehmen.

Psychotherapie

Als Methode der Wahl gilt heute die kognitive Verhaltenstherapie einschließlich eines Expositions-Reaktionsmanagements. Beim Expositions-Reaktionsmanagement setzt sich der Betroffene unter Begleitung seines Therapeuten den zwangsauslösenden Reizen schrittweise aus und lernt, mit den aufkommenden unangenehmen Gefühlen umzugehen, ohne Zwangshandlungen auszuführen. Die Konfrontation mit der zwangsauslösenden Situation sollte möglichst in der Alltagssituation des Patienten stattfinden (z.B. im häuslichen Umfeld). Der Patient macht dabei die Erfahrung, dass die mit der Situation verbundenen zwanghaften Befürchtungen nicht eintreten und dass er die unangenehmen Gefühle bewältigen kann,  dass also Angst, Ekel oder Anspannung nach einer gewissen Zeit nachlassen, auch wenn er keine Zwangshandlungen ausführt.

Um der Komplexität des Störungsbildes gerecht zu werden, werden zumindest bei den mittel- und schwergradigen Zwangserkrankungen in der Regel multimodale kognitiv-verhaltenstherapeutische Konzepte angewandt. Diese beinhalten - in Ergänzung zur Symptomtherapie mittels Expositions-Reaktionsmanagement - weitere kognitiv-verhaltenstherapeutische Methoden und häufig auch systemische, psychodynamische und/oder achtsamkeitsbasierte Elemente.  Hierbei werden auch mögliche Funktionalitäten der Zwangssymptomatik in die Behandlung einbezogen. Beispielsweise können Zwänge die Funktion haben, starke Selbstzweifel zu kompensieren, oder sie dienen der Beziehungsregulation zu nahen Bezugspersonen. Es wird empfohlen, Angehörige in die Therapie einzubeziehen, insbesondere wenn sie in die Rituale eingebunden sind.

Es besteht keine generelle Überlegenheit der Kombination aus kognitiver Verhaltenstherapie und medikamentöser Therapie im Vergleich zur alleinigen kognitiven Verhaltenstherapie. Die zusätzliche medikamentöse Behandlung ist aber dann vorteilhaft, wenn parallel schwere (komorbide) Depressionen bestehen und/oder Zwangsgedanken das klinische Bild bestimmen.

Medikamentöse Behandlung

Bei der medikamentösen Therapie sind vor allem so genannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) (Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin oder Sertralin) empfohlen. Diese Medikamente werden auch bei Depressionen eingesetzt, wirken aber auch davon unabhängig bei Zwangserkrankungen. Eine Alternative zu den SSRI ist der nicht-selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Clomipramin, welcher aber durchschnittlich zu mehr Nebenwirkungen führt als die SSRI, so dass er eher als zweite Wahl angesehen wird.
Bei unzureichendem Ansprechen auf SSRI, trotz ausreichend langer und hoher Dosierung, wird die Augmentation mit einem niedrig dosierten atypischen Antipsychotikum empfohlen. Unter Augmentation wird hierbei die Zugabe von Substanzen zu einem Antidepressivum verstanden, die für sich alleine keine oder kaum antidepressive bzw. in diesem Fall „Anti-Zwangs“-Effekte zeigen. In Kombination mit einem Antidepressivum führen diese Substanzen jedoch zu einer Steigerung der Wirksamkeit des Antidepressivums gegen die Zwangssymptomatik und so zu einem verbesserten Gesamteffekt. Diese Augmentation ist bei ca. 1/3 der Patienten erfolgreich, die zuvor auf eine SSRI Monotherapie nicht angesprochen haben, besonders profitieren Patienten mit zusätzlichen Tic-Störungen.

Grundsätzlich sollte die Dosierung der SSRI bei Zwangsstörungen im oberen Dosisbereich liegen, die Dosierung muss aber immer mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden. Es muss mit einer relativ langen Dauer von mindestens 4 Wochen bis zum Wirkungseintritt und 8-12 Wochen bis zum Wirkungsmaximum gerechnet werden. Das Absetzen sollte immer schrittweise erfolgen, der richtige Zeitpunkt hierfür richtet sich insbesondere nach dem Verlauf der zusätzlichen kognitiven Verhaltenstherapie.

Insbesondere unter Berücksichtigung der Langzeiteffekte sollte eine medikamentöse Behandlung immer mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen Maßnahmen kombiniert werden.

Fachliche Unterstützung: PD Dr. med. Michael Rufer, Zürich (SGPP) und Prof. Dr. Voderholzer, Prien am Chiemsee (DGPPN)