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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Mögliche Ursachen für Suizidabsichten und Suizid bei Kindern und Jugendlichen

Suizidales Verhalten ist meist komplex begründet. Dabei sind sowohl biologische (z.B. genetische) Ursachen zu nennen als auch die persönliche Entwicklung eines Menschen, belastende Lebensereignisse, das soziale Umfeld sowie psychische Grunderkrankungen. Wie bei allen psychischen Störungen auch ist eine psychosoziale Belastung nicht allein ausschlaggebend für einen Suizid oder -versuch. Vielmehr kann diesem Verhalten ein Zusammenspiel aus mangelnder individueller Fähigkeit zur Verarbeitung und Problemlösung sowie einer ungenügenden Unterstützung in der Familie zugrunde liegen.

Faktoren, die das Risiko akuter Suizidalität erhöhen:

  • akute Alkohol- und Drogenintoxikation
     
  • hohe Impulsivität, Vorliegen einer Impulskontrollstörung oder emotional-instabiler Persönlichkeitszüge
     
  • frühere Suizidversuche (insbesondere im letzten Jahr)
     
  • Suizide oder Suizidversuche im Umfeld des Patienten
     
  • kritische Lebensereignisse

Biologische Faktoren

Suizidales Verhalten scheint mit einer Verminderung des Nervenbotenstoffs Serotonin verbunden zu sein. So stehen über einen noch ungeklärten Zusammenhang niedrige Spiegel eines bestimmten Serotonin-Stoffwechselprodukts (5-Hydroxy-Indol-Essigsäure) in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquor) mit der Häufigkeit des Auftretens eines „harten“ Suizidversuchs bei Kindern (und depressiven Patienten) in Zusammenhang.

In Familien, in denen bereits ein Suizid aufgetreten ist, kann vielfach ein erhöhtes Suizidrisiko nachgewiesen werden. Ungefähr die Hälfte der Suizid-Opfer besitzt einen Verwandten ersten Grades, der ebenfalls einen Suizid verübt hat oder dies versuchte. Eine genetisch bedingte Veranlagung wird daher vermutet. Allerdings sollten bei dieser Überlegung auch der Nachahmungseffekt und die Belastung, die ein Suizid für eine Familie bedeutet, beachtet werden.

Persönlichkeit & Entwicklung

Die Zeitspanne vom Kind zum Erwachsenen ist eine sehr empfindliche Phase. Sie ist geprägt durch Entwicklungsanforderungen, Veränderungen und Krisen (siehe auch Adoleszens & Adoleszenskrisen). Die Fähigkeit zur sozialen Anpassung ist bei der Meisterung dieses Lebensabschnitts von großer Bedeutung. Anpassungsstörungen stellen ein typisches Merkmal suizidgefährdeter Kinder dar. In der Regel reagieren zu Suizid neigende Jugendliche auf Probleme entweder impulsiv-aggressiv oder sie ziehen sich zurück und flüchten sich in Fantasien und Grübeleien. Häufig sind die betroffenen Kinder sozial weniger akzeptiert, fühlen sich einsamer, hoffnungsloser und haben ein geringes Selbstwertgefühl.

Jungen mit spätem und Mädchen mit frühem Beginn der Pubertät weisen vermehrt psychische und soziale Probleme sowie ein erhöhtes Suizidrisiko auf. Auch Probleme mit der sexuellen Identität, wie z.B. Homosexualität, können bei Jugendlichen einen Belastungsfaktor darstellen.

Belastende Lebensereignisse

Eine Häufung traumatischer Erlebnisse findet sich bei vielen Kindern und Jugendlichen, die suizidales Verhalten zeigen. Kinder und Jugendliche, die beispielsweise einen sexuellen Missbrauch erlitten haben, weisen ein 3- bis 4-fach erhöhtes Suizidrisiko auf. Suizidales Verhalten innerhalb der Familie erhöht das Risiko 2- bis 6-fach.

Psychosoziales Umfeld

Eine schwierige konfliktreiche familiäre Situation kann für Kinder und Jugendliche eine erhebliche Belastung darstellen. Scheidung, häufige Streitigkeiten, unzureichende Betreuung und mangelnde Unterstützung oder fehlendes Verständnis belasten Kinder und Jugendliche. Manche suizidgefährdeten Kinder und Jugendliche haben keine verlässlichen Bezugspersonen, die ihnen als Richtschnur und Helfer im Umgang mit Besorgnis erregenden Gefühlen und Situationen dienen würden. Auch eine permanente schulische Überforderung, die häufige Auseinandersetzungen, Versagensängste und schlechte Noten zur Folge hat, kann Jugendliche in eine schwere Krise führen.

Die Verfügbarkeit von gefährlichen Medikamente oder Schusswaffen im Haushalt führt besonders bei impulsiv handelnden Kindern und Jugendlichen zu einem deutlich erhöhten Suizidrisiko.

Psychische Grunderkrankungen

Ein stark erhöhtes Suizidrisiko weisen depressive Jugendliche auf. Auch Alkohol und Drogen konsumierende Jugendliche zeigen ein erhöhtes Risiko. Bei so genannten „Problemtrinkern“ zeigen sich besonders häufig Suizidgedanken und suizidale Handlungen. Nicht selten wird ein Suizid(versuch) unter dem Einfluss von Alkohol durchgeführt. Zum einen wird dadurch die Impulsivität gefördert und zudem die Hemmschwelle durch die angst lösenden und schmerzlindernden Eigenschaften herabgesetzt. Zum anderen können selbstverletzende Handlungen unter Alkohol-/Drogeneinfluss nicht mehr ausreichend kontrolliert werden und dadurch, wenn auch ungewollt, tödlich verlaufen. Auch das Vorliegen einer Störung des Sozialverhaltens erhöht das Suizidrisiko. Die höchste Suizidrate weisen männliche, alkohol- oder drogenabhängige, sozial ausgegrenzte, depressive Jugendliche auf. Weitere mit erhöhter Suizidalität einhergehende psychische Störungen sind Impulskontrollstörungen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen.

Suizidhandlungen, die im Rahmen von akuten psychotischen Erkrankungen vollzogen werden, nehmen eine Sonderrolle ein. Die üblichen zu einem Suizid führenden Bedingungen sind hier nur von untergeordneter Bedeutung. Während einer akuten schizophrenen Krankheitsphase entwickeln sich unter dem Einfluss von  Wahnphänomenen und Halluzinationen (Wahrnehmungsstörungen) oft rapide einschießende Suizidgedanken mit sofortiger und häufig kaum zu verhindernder Umsetzung. Manchmal sind Todesfälle bei an akuter Psychose erkrankten Jugendlichen keine Suizide (definiert als Handlungen mit der Intention zu sterben), sondern tragische Todesfälle aufgrund von Fehlhandlungen infolge psychotischen Erlebens (z.B. Sprung aus Fenster bei der Idee, man könne fliegen).

Insgesamt ist das Suizidrisiko bei psychisch kranken Kindern und Jugendlichen etwa 10-fach höher als bei der gleichaltrigen gesunden Bevölkerung.

Auslösende Ereignisse

Bei Kindern oder Jugendlichen, die einen Suizidversuch unternehmen, ist fast immer eine Krisensituation vorausgegangen. Am häufigsten werden Streitigkeiten in der Familie oder das Ende einer Partnerschaft als auslösendes Ereignis angegeben. Aber auch eine ungewollte Schwangerschaft oder eine misslungene Prüfung können der Auslöser sein.

Auch nach Suizidhandlungen prominenter Persönlichkeiten oder nach Ausstrahlung entsprechender Fernsehsendungen lässt sich besonders bei Jugendlichen ein Anstieg der Suizidrate feststellen. Dies bezeichnet man als Imitationseffekt, der nach dem Erlebnis meist 1-2 Wochen anhält. Auch Suizide in der Umgebung erhöhen das Risiko.

Fachliche Unterstützung: Prof. Dr. med. Katja Becker, Marburg (DGKJP)