Begriffserklärung: Kinder- und Jugendpsychosomatik
Die Psychosomatik ist eine medizinische Fachrichtung, welche ihren Schwerpunkt neben den biologischen Faktoren auch auf psychosoziale Aspekte richtet, die bei der Entstehung, dem Verlauf und der Therapie von Erkrankungen und Störungen eine Rolle spielen. Sie betrachtet dabei die spezifischen Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen Körper, Gefühlen und sozialem Umfeld, die Einfluss auf die Gesundheit oder Krankheit von Menschen nehmen. Die Psychosomatische Medizin ist somit eine fächerübergreifende Denk- und Arbeitsweise, die über die organmedizinische Sichtweise hinausgeht. Sie berücksichtigt, dass „Leiden“ mit Empfindungen verbunden ist, für jeden Menschen eine andere Bedeutung haben kann und in Familien und Kulturen unterschiedlich damit umgegangen wird.
Psychosomatik beschäftigt sich mit
- den körperlichen Anteilen psychischer Erkrankungen,
- den psychischen Auswirkungen körperlicher Erkrankungen z.B. auf die Lebensqualität, die Fähigkeit zur guten Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient,
- der Teilhabe und sozialen Eingliederung psychosomatischer Patienten,
- den Auswirkungen und Interaktionen bei gleichzeitigem Vorliegen psychischer und körperlicher Erkrankungen.
Versorgung von psychosomatischen Erkrankungen
Im Kindes- und Jugendalter wird die Psychosomatik in der Regel von dem Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie abgedeckt. Eine Aufteilung in „Psychiatrie“ und „Psychosomatik“, wie sie sich in Deutschland für die Behandlung von Erwachsenen mit psychiatrischen bzw. psychosomatischen Störungen etabliert hat, existiert für die Behandlung im Kinders- und Jugendalter nicht. Aus diesem Grund tragen die kinder- und jugendpsychiatrischen Fachverbände (Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BAG), Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland (BKJPP), Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP)) sowie viele Krankenhausabteilungen und Fachkliniken außer der ‚Psychotherapie‘ auch die ‚Psychosomatik‘ im Namen. Psychosomatisches Verstehen und Handeln spielt aber auch im kinder- und jugendärztlichen Alltag eine zentrale Rolle.
Als Rahmen der interdisziplinären Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendpsychiater und -psychotherapeuten mit Kinder- und Jugendärzten, Pädagogen, ausdrucks- und körperorientierten Therapeuten haben sich psychosomatische Beratungs-, Behandlungs- und Kooperationsdienste bewährt. Eine andere Form der Zusammenarbeit kann auf konsiliarischem Weg erfolgen, wobei Kinder- und Jugendpsychiater oder klinische Kinder-und Jugendpsychologen von Kinder- und Jugendärzten beratend hinzugezogen werden.
Der Großteil psychosomatischer Erkrankungen wie z. B. Magersucht (Anorexia nervosa) oder psychogene körperliche Symptome (z. B. dissoziative Störungen, somatoforme Störungen) wird also von Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie behandelt. Daneben sind psychologische Kinder- und Jugendpsychotherapeuten in diesem Bereich tätig. Diejenigen Erkrankungen, die psychosomatische Aspekte aufweisen, jedoch vorwiegend körperlich verursacht sind (z.B. Asthma, chronische Darmerkrankungen, Diabetes mellitus) werden durch Kinder- und Jugendmediziner (Pädiater) behandelt und unter Beteiligung der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie auf konsiliarischem Wege mitbehandelt. Bei verschiedenen Erkrankungen, die vorwiegend psychisch bedingt sind und gravierende körperliche Beeinträchtigungen zu Folge haben können (z.B. Magersucht (Anorexia nervosa), kann oft zunächst eine pädiatrische, klinische Behandlung notwendig sein und anschließend eine Überweisung an das Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie erfolgen.
Störungsbilder im Aufgabenfeld der Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters
Chronische körperliche Erkrankungen, z.B.:
- Diabetes mellitus
- Chronische entzündliche Darmerkrankungen
- Asthma bronchiale
- Schmerzerkrankungen
- Mukoviszidose
- Rheumatische Erkrankungen
- Krebserkrankungen
Schwerwiegende medizinische Eingriffe, z.B.:
- Organtransplantationen
- Wiederholte schwerwiegende Operationen
- Längere wiederholte Klinikaufenthalte
Genetische Syndrome, Wachstumsstörungen und andere hormonelle Störungen bzw. Entwicklungsverzögerungen
Primär als kinder- und jugendpsychiatrisch klassifizierte Erkrankungen mit körperlichen Beschwerden oder Auswirkungen
- Störungen bei denen Patienten sich von sich selbst, der Welt und dem Körper entfremdet fühlen (Dissoziative Störungen)
- Störungen die wie eine „Krankheit des Körpers oder Nervensystems wirken, bei denen jedoch psychische Belastungen wesentlich sind (somatoforme Störungen)
- Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren (z.B. Essstörungen)
- Nicht-organische Schlafstörungen
- Psychische Faktoren und Verhaltenseinflüsse bei andernorts klassifizierten Krankheiten
- selbstschädigendes Verhalten
- Sonstige Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (Ausscheidungsstörungen wie Einnässen und Einkoten und Regulationsstörungen)
Fächerübergreifend werden auch Fälle von Kindesmisshandlung, sexuellem Missbrauch sowie Suizidversuche mit gesundheitlichen Akut- oder Folgeschäden behandelt.
Quellen:
Fegert, Eggers, Resch; Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters; 2. Auflage; Springer (2012)