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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Magersucht: Krankheitsbild

Kennzeichnend für eine Anorexia nervosa ist ein meist starkes Untergewicht, das bewusst herbeigeführt wird. Die Patienten wiegen sich mehrmals am Tag, jede Änderung des Körpergewichtes, im Grammbereich, wird akribisch verfolgt. Die starke Angst zuzunehmen (Gewichtsphobie) ist ständig gegenwärtig. Extreme körperliche Aktivität, die einige Patienten wie einen Zwang erleben, ist eine typische Begleiterscheinung. Durch die andauernde Mangelernährung wird der Energieverbrauch des Körpers gesenkt, so dass bereits geringe Nahrungsmengen zu einer Gewichtszunahme führen können. Dies veranlasst die Betroffenen, ihre Nahrungsaufnahme noch strenger zu kontrollieren und noch weniger zu essen – ein Teufelskreis beginnt.
Innerhalb des Krankheitsbildes unterscheidet man zwei Typen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen:

•    Die einen (so genannter restriktiver, „einschränkender“ Typ) verringern ihr Gewicht durch Kalorien- und Fetteinsparung bzw. Fasten und Bewegung,
•    während die anderen (so genannter „purging“ Typ) zusätzlich gewichtsreduzierende Maßnahmen wie selbst herbeigeführtes Erbrechen oder Abführmittel einsetzen.

Eine Magersucht beginnt meist schleichend, trotz zurückhaltendem Ess-Verhalten rückt das Thema „Essen“ immer mehr in den Mittelpunkt der gedanklichen Interessen. Magersüchtige überbewerten die Themen „Figur“ und „Gewicht“ stark und beschäftigen sich beständig mit dem Nahrungsgehalt von Lebensmitteln. Das Ess-Verhalten von Magersüchtigen ist generell auffällig. Lebensmittel-Tabellen mit Kalorien- und Fettangaben sowie Diätpläne werden genauestens studiert. Anfangs meiden die Betroffenen vor allem hochkalorische Speisen bzw. Nahrungsmittel mit einem hohen Fettanteil (Schokolade, Chips, Milch, Sahne, Butter etc.), dann vielfach jede Form von Fleisch (Vegetarismus). Die Patienten sind oft sehr wählerisch, brauchen lange für geringste Nahrungsmengen und entwickeln regelrechte Ess-Rituale. Beispielsweise können Magersüchtige an einer Tomate oder einem Apfel eine halbe Stunde essen, indem sie von der Frucht mit dem Messer immer nur kleinste Teile abschneiden, um sie zu verzehren. Die Betroffenen nehmen nur das Allernotwendigste an Nahrung zu sich oder verweigern sie unter Umständen irgendwann völlig. Außerdem kann es - vor allem bei sehr jungen Patienten - auch zu einer  Reduzierung der Flüssigkeitsaufnahme  bis hin zur Verweigerung des Trinkens kommen.

Viele Patienten nehmen ihren Körper verzerrt wahr (Körperschema-Störung). Sie überschätzen ihren Körperumfang und halten sich trotz Untergewicht für zu dick. Bestimmte Körperregionen sind von diesen Befürchtungen besonders betroffen, wie Bauch, Hüften und Oberschenkel. Die subjektive Überzeugung zu dick zu sein, ist stets präsent - selbst sehr abgemagerte Patienten, die ihren Körper im Spiegel sehen, nehmen sich als dick war. 

Damit Betroffene ihr kontrolliertes Essverhalten aufrechterhalten können, sehen sie sich oft gezwungen, den Menschen in ihrem Umfeld nicht die Wahrheit sagen zu können. So müssen sie beispielsweise ihre Eltern oder die Familie bezüglich der Nahrungsaufnahme belügen oder die essstörungsbedingten Verhaltensweisen - wie z.B. das selbst ausgelöste Erbrechen - vor ihnen verbergen.

Magersüchtige wiesen meist typische Charakterzüge auf. Viele Betroffene neigen zu Perfektionismus und weisen im Zuge dessen ein leistungsorientiertes Verhalten auf, welches sich z.B. in verstärkter Konzentration auf die Schule, die Ausbildung bzw. den Beruf sowie in übertriebenem Ordnungssinn äußern kann. Betroffene neigen zu Zwanghaftigkeit, die sich in rigiden, stereotypen und ritualisierten Verhaltensweisen äußern kann.

Häufig leiden Magersüchtige zusätzlich auch an depressiven Verstimmungen und Ängsten. Im Verlauf der Erkrankung kann es zu einer gewissen sozialen Isolation, u.a. bedingt durch das Meiden von gemeinsamen Mahlzeiten sowie der Weigerung von Essen in der Öffentlichkeit z.B. in Form von Kneipen- und Restaurant-Besuchen kommen.
Die Magersucht kann sich gerade beim purging Typ zu einer Bulimia nervosa bei normalem Gewicht weiterentwickeln. Beim Übergang wird die Dauerdiät durch Ess-Attacken unterbrochen, gekoppelt mit anschließendem selbstausgelösten Erbrechen. Dieser Verlauf wird bei etwa 20% der „ehemaligen“ Magersüchtigen beobachtet.