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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Psychische Folgen durch Trennung oder Scheidung

Die Entwicklung seelischer Störungen ist von vielen Faktoren abhängig. Zum einen spielen das Alter des Kindes, sein Entwicklungsstand, die seelische Grundverfassung sowie seine individuellen Fähigkeiten zur Angstbewältigung und Anpassung an die veränderten Lebensumstände eine Rolle. Die Qualität der Beziehungen zu beiden Eltern vor und nach der Trennung und gegebenenfalls Scheidung und die Möglichkeit der Eltern, die äußere und die psychische Trennung zu bewältigen und in der Erziehung auch nach der Scheidung zusammenzuwirken, sind ebenfalls ausschlaggebend für das kindliche Erleben des Trennungsprozesses. Zudem fließt die sozio-ökonomische Situation der „Restfamilie“ bzw. „Fortsetzungsfamilie“ und das seelische Befinden des Alleinerziehenden in den Verarbeitungsprozess des Kindes ein.

Unbestritten ist, dass Kinder und Jugendliche von dem meist lang andauernden Konflikt ihrer Eltern vor, während und nach der Trennung betroffen sind und extrem darunter leiden können. Die familiäre Atmosphäre ist in dieser Zeit äußerst angespannt und häufig von Bitterkeit und Streitereien geprägt. Kinder und Jugendliche werden häufig emotional und real vernachlässig. Gleichzeitig werden sie von den Eltern vielfach zur Festigung derer Machtpositionen missbraucht. Sie werden zum Zankapfel oder Spielball im Streit zwischen den Eltern, der häufig vor Gericht in Auseinandersetzungen um das Sorge-, Unterhalts- und Besuchsrecht fortgesetzt wird. In der Scheidungsphase ist die innere Zerrissenheit der Kinder zwischen Vater und Mutter am größten, weil sie unter deren Loyalitätsanforderungen direkt oder indirekt zu Richtern im Ehestreit gemacht werden.

Weil die Eltern ganz von ihren eigenen mit der Trennung verbundenen Gefühlen des Versagens, Verletztseins, der Enttäuschungswut und Abwehr von Schuldgefühlen absorbiert sind, ist das Scheidungskind mit dem Erleben der Trennung meist alleingelassen. Je drastischer es mit Verhaltensauffälligkeiten reagiert, desto eher besteht die Chance, mindestens die Aufmerksamkeit eines Elternteils wiederzuerlangen, wobei seelisches Leid bei Kindern, die mit depressiver Antriebslosigkeit und Bedrücktheit oder angstgetönter Überanpassung reagieren, fast immer „übersehen“ wird. Eine depressive Reaktion als Antwort auf den Verlust eines Elternteils unterscheidet sich von einer normalen Trauerreaktion dadurch, dass zu den Gefühlen von Trauer und Schmerz das Gefühl von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Resignation hinzukommt. Beim Scheidungskind ist dies häufig der Fall, weil es mit dem Verlusterleben allein gelassen ist und es nicht geschafft hat, die Trennung der Eltern zu verhindern. Dies alles gilt auch für Kinder und Jugendliche, die „nur“ die Trennung ihrer Eltern miterleben. Inzwischen wachsen in Deutschland fast eine Million Kinder und Jugendliche in Lebensgemeinschaften auf, die nicht im juristischen Sinne geschieden werden, wenn die Eltern sich zu einer Trennung entschließen.

Reaktionen von Kindern

Kinder antworten auf seelischen Schmerz unterschiedlich. Die Skala kann von zornigem, protestierendem Nichtanerkennen des schmerzlichen Zustandes bis hin zu einem passiven, resignierenden Verhalten reichen. Je nach individueller Angst, Schuldgefühlen und der Fähigkeit, das Erleben von Hilflosigkeit abzuwehren, lassen sich aggressive, plötzliche asoziale oder gar „straftäterische“ Verhaltensreaktionen wie Diebstahl oder Weglaufen, aber auch Clownerie, altkluges, pseudo-erwachsenes Verhalten oder psychosomatische Reaktionen wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen oder Einnässen als Abwehrversuche depressiven Erlebens erkennen.

Reaktionen von Jugendlichen

Jugendliche, entwicklungsbedingt in ihren Aktivitäten eher außerhalb der Familie orientiert, erleben die unvollständige Familie als beschämenden Mangel. Sie fühlen sich durch das Miterleben des Scheiterns ihrer Eltern, die ihnen als „Vorbilder“ dienten, in ihrem Bedürfnis geschädigt, soziale Kompetenz und Anerkennung zu erlangen. Schamgefühle können kompensatorisch durch die Konzentration auf den Leistungsbereich abgewehrt werden, oder, wenn dies nicht gelingt, auch zum Rückzug aus Sozialkontakten führen. Die wesentliche Auswirkung  von Trennung und Scheidung in dieser Alterstufe liegt im Verlust einer Sicherheit und Halt gebenden Familienstruktur, die dem Jugendlichen ein Hin- und Herpendeln zwischen Unabhängigkeit und noch kindlicher Abhängigkeit ermöglicht, damit er seine Entwicklungsaufgaben bewältigen kann.

Extreme Entwicklungsverläufe können bei Jugendlichen sein:

  • Emotionaler Rückzug: Die Jugendlichen ziehen sich in sich selbst zurück, meiden Sozialkontakte und wehren sich gegen die Entwicklungsanforderungen der Erwachsenwerdens.
     
  • Beschleunigter Entwicklungsverlauf: Die Jugendlichen zeigen ein pseudoerwachsenes Verhalten und sexuelle Frühreife nach Verlust äußerer Werte und Kontrolle oder vernachlässigen ihre eigenen (jugendlichen) Bedürfnisse. Manche übernehmen auf scheinbar erwachsene Art Entscheidungen und Verantwortung für die in der Krise belasteten und in sich zurückgezogenen Eltern.

Fachliche Unterstützung: DGKJP