Neurologen und Psychiater im Netz

Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen

Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Beurteilung des Suizidrisikos & Diagnostik

Zunächst muss jedes potenziell lebensbedrohliche selbstverletzende Verhalten als potentielle Suizidgefährdung betrachtet werden. Nach Äußerung von konkreten Suizidgedanken oder einer nach Suizidversuch aussehenden Handlung sollte unbedingt ein Kinder- und Jugendpsychiater aufgesucht werden. In der zuständigen Klinik ist rund um die Uhr ein Arzt vorhanden, der das aktuelle Suizidrisiko abklären kann. Es ist wichtig herauszufinden, ob ein akutes Suizidrisiko besteht. Je früher eine einfühlsame Befragung durch den Kinder- und Jugendpsychiater über das Motiv und die Hintergründe des Suizidversuchs erfolgt, desto emotional empfänglicher sind die Betroffenen. Ängste, dass durch das sofortige Ansprechen des Suizidversuchs ein erneuter Versuch folgen könnte, sind im Allgemeinen unberechtigt.

Sowohl die körperliche als auch die psychische Verfassung des Kindes sind entscheidend für die Einschätzung des momentanen Suizidrisikos. Der Betroffene selbst sowie Eltern, Lehrer und Freunde sollten die auslösende Situation, die Umstände des Suizidversuchs und die aktuelle psychosoziale Belastung in einem Gespräch mit dem Kinder- und Jugendpsychiater beurteilen. Außerdem sollten möglicherweise bestehende seelische Erkrankungen und vorausgegangene Suizidversuche berücksichtigt werden.

Körperliche Verfassung

Bei einem Jugendlichen sollte so rasch wie möglich der Alkoholspiegel im Blut bestimmt sowie ggf. ein Drogenscreening durchgeführt werden. Auch schwerwiegende chronische Erkrankungen gelten als Belastungsfaktoren. Psychosomatische, d.h. seelisch bedingte körperliche, Beschwerden, können Ausdruck einer depressiven Störung sein.

Psychische Verfassung

Verschlossene und hoffnungslose Kinder und Jugendliche haben ein höheres Risiko, (erneut) einen Suizidversuch zu unternehmen. Ein Jugendlicher, der glaubhaft über den Suizidversuch, seine Gefühle und Gedanken spricht, ist einer Hilfe meist zugänglicher und damit weniger gefährdet. Besteht der Eindruck, dass der Betroffene etwas verschweigt, sollte man ihm diese Einschätzung mitteilen.

Bei älteren Jugendlichen ist auch die Prüfung, ob wahnhaftes Erleben oder Denkstörungen vorliegen als Zeichen psychotischer Erkrankungen, unerlässlich.

Umstände und auslösende Ereignisse des Suizidversuchs

Das Kind bzw. der Jugendliche sollte direkt und konkret nach der Planung und der Methode des Suizides gefragt werden. Was waren die genauen subjektiven Gründe für den Suizidversuch? Welches akute Ereignis hat zu der Handlung geführt? Die meisten Jugendlichen geben an, dass ihr primärer Grund für den Suizidversuch der Wunsch ist, sterben zu wollen. Des Weiteren erhoffen sie sich vor allem die Erleichterung eines als unerträglich empfundenen Gefühlszustands und eine Flucht aus einer (scheinbar) unlösbaren Situation. Viel weniger scheint es aus Sicht der Jugendlichen eine Rolle zu spielen, wie andere Menschen auf den Suizidversuch reagieren.

Gründe für Suizidversuche bei Jugendlichen

[Tabelle]

Die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung und das Ausmaß des appellativen Charakters sollten ebenfalls eingeschätzt werden. Aspekte, die für die Ernsthaftigkeit des Suizidversuchs sprechen, sind

  • eine längere Planung und ein fixierter oder angekündigter Termin;
     
  • ein ausgeprägter Vorsatz zur Selbsttötung;
     
  • die Wahl einer so genannten „harten“ Methode, wie Sprung von einer Brücke, Erschießen oder vor einen Zug werfen;
     
  • getroffene Maßnahmen, die eine Entdeckung verhindern sollten;
     
  • bereits getroffene Regelungen in Vorwegnahme des eigenen Todes;
     
  • ein Abschiedsbrief mit Angabe von Gründen für den Suizid;
     
  • keine Information Dritter bei Verwendung so genannter „weicher“ Methoden (z.B. Tabletteneinnahme), wodurch ein rechtzeitiges Eingreifen von außen verhindert werden soll.

Auch die Herkunft des Suizidmittels kann eine Aussage über die Planung des Suizidversuches liefern. Generell sollten nach einem Suizidversuch potenziell lebensbedrohliche Mittel aus der näheren Umgebung des Kindes und Jugendlichen entfernt werden.

Psychosoziale Belastung

Für den Kinder- und Jugendpsychiater ist es notwendig, Informationen bezüglich der familiären, sozialen und schulischen Lebensbedingungen des Patienten zu gewinnen. Dies fördert das Verständnis und erleichtert die Einschätzung der Ernsthaftigkeit des Suizidversuchs. Durch ein einfühlsames und offenes Gespräch wird dem Kind bzw. Jugendlichen vermittelt, dass man ihn ernst nimmt und sich für seine schwierige Situation interessiert. Sollte das soziale Umfeld zu belastend für den Betroffenen sein, muss eventuell eine vorübergehende Herausnahme eingeleitet werden.

Fachliche Unterstützung: Prof. Dr. med. Katja Becker, Marburg (DGKJP)