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Sexuelle Orientierung ist nicht die Ursache für psychische Probleme

In den letzten Jahrzehnten hat unsere Gesellschaft die weitgehende Akzeptanz, wie auch rechtliche Gleichstellung und Entpathologisierung von LGBTI-Menschen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Inter) erlebt. Trotzdem ist das Risiko, psychische Erkrankungen zu entwickeln, bei sexuellen Minderheiten höher als unter Heterosexuellen.

In den letzten Jahrzehnten hat unsere Gesellschaft die weitgehende Akzeptanz, wie auch rechtliche Gleichstellung und Entpathologisierung von LGBTI-Menschen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Inter) erlebt. Trotzdem ist das Risiko, psychische Erkrankungen zu entwickeln, bei sexuellen Minderheiten höher als unter Heterosexuellen. Ursächlich sind direkt oder indirekt erfahrene Diskriminierung oder Diskriminierungserwartungen in den familiären, schulischen oder beruflichen Kontexten, in Peergroups oder allgemein im gesellschaftlichen Umfeld. Eine Rolle spielen dabei nicht nur offene homophobe Reaktionen, wie verbale Attacken oder Gewaltübergriffe, seitens des sozialen Umfeldes, sondern auch subtile Diskriminierungserfahrungen, zu einer Minderheit zu gehören, wie erlebte Stigmatisierungs- und Ausgrenzungserfahrungen. Diskriminierungserfahrungen können eine gesunde Persönlichkeits- und die Identitätsentwicklung beeinträchtigen und psychische Erkrankungen fördern. Die sexuelle Orientierung wie auch die Geschlechtsidentität selbst ist nicht die Ursache für psychische Erkrankungen und sie bedarf auch keiner Therapie [siehe Stellungnahmen des Weltärztebundes (World Medical Association, WMA)*].

Konversionsverfahren sind wirkungslos und gefährlich

Es gibt homo- oder bisexuelle Menschen, die aus unterschiedlichen Motiven mit ihrer sexuellen Orientierung Schwierigkeiten haben und diese verändern möchten. Hier spielen häufig Ängste vor ablehnenden Reaktion des familiären-sozialen Umfeldes eine Rolle und/oder Schamgefühle, weil die eigene sexuelle Orientierung nicht mit den persönlichen religiösen oder anderen Wertvorstellungen übereinstimmt (sog. internalisierte Homophobie). Hierfür werden von verschiedenen Seiten auch in Deutschland so genannte Konversionsverfahren angeboten, die das Ziel haben, Homosexualität in asexuelles oder heterosexuelles Verhalten umzuwandeln. Diese Interventionen beeinflussen die Psyche und insbesondere das Selbstbild, die Normen und die Werte von Patienten mitunter in hochproblematischer Weise. Die Verfahren sind dabei nachweislich nicht nur unwirksam, sondern können auch erhebliche schädliche Nachteile haben. Mögliche Folgen sind Depressionen, Angsterkrankungen bis hin zu suizidalen Krisen. „Die sexuelle Orientierung eines Menschen ist Teil seiner Identität und nicht durch Konversionsinterventionen veränderbar. Wo keine Krankheit besteht, bedarf es auch keiner Therapie und Heilung“, erklärt Dr. Lieselotte Mahler von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). „Behandlungsbedarf kann dann entstehen, wenn Menschen Schwierigkeiten damit haben, ihre Sexualität auszuleben und Beziehungen aufzubauen, unter Ängsten und Depression leiden, weil sie Abwertungen oder auch Feindseligkeiten durch ihre Umwelt erleben oder fürchten.“ Rund 70 Prozent der Jugendlichen in Deutschland schildern aus Sorge vor Ablehnung durch Familienmitglieder oder Freund*innen Angst vor dem Coming-out zu haben(1). Etwa ein Drittel von homosexuellen Frauen und Männern gibt an, im Umfeld sowie auch am Arbeitsplatz Diskriminierung, Ausgrenzung bis hin zu verbalen Aggressionen ausgesetzt zu sein(2,3).

Sexuelle Orientierung nicht willentlich beeinflussbar

Die sexuelle Orientierung - wie Homo- oder Heterosexualität - unterliegt keiner freien Entscheidung, sondern ist Bestandteil der Identität, die Menschen ausbilden. „Die sexuelle Orientierung von Menschen ist vielschichtig, nicht unmittelbar von außen ersichtlich und sie lässt sich aus Angst vor Stigmatisierung im sozialen Kontext auch «verstecken». Für Personen, insbesondere Kinder und Jugendliche, die sich nicht primär heterosexuell identifizieren ist es weitaus schwieriger, sich in der heteronormativen Gesellschaft zu verorten, die eigene Orientierung zu begreifen und für sich auszubalancieren“, erklärt Dr. Mahler. „Vielen LGBT-Menschen fällt es daher nach wie vor schwer, die eigenen Empfindungen und Sexualität wahr- und anzunehmen und in die eigene Identität zu integrieren. Das Gefühl «Anders zu sein», nicht zur Mehrheit zu gehören, geht häufig mit Überforderung sowie Verunsicherung einher und einem erhöhten Risiko für depressive Erkrankungen, Angststörungen oder auch Abhängigkeitserkrankungen.“ Untersuchungen haben gezeigt, dass Homosexuelle vergleichsweise häufiger psychisch erkranken und im Jugend- und jungen Erwachsenenalter eine höhere Rate an Suizidversuchen aufweisen. Wissenschaftliche Modelle, wie das Minderheiten-Stress-Modell von Ilan Meyer (2003), können das erhöhte Risiko für psychische Erkrankungen bei sexuellen Minderheiten als Folge gesellschaftlicher Stigmatisierung gut belegen.

Soziale Unterstützung kann negative Effekte abmildern

Würde Heterogenität von der Gesellschaft selbstverständlicher angenommen und mehr als Bereicherung denn als Herausforderung aufgefasst, trägt das zu einer Normalisierung bei. In der Regel erkennen homosexuelle Menschen schon in jungen Jahren, dass sie sich zu gleichgeschlechtlichen Partnern hingezogen fühlen. Für viele von ihnen ist es jedoch ein längerer Prozess, bis sie ihr „Coming-out“ umsetzen. Dieser Schritt fällt umso schwerer, je intoleranter oder gar feindseliger das Umfeld gegenüber anderen sexuellen Varianten eingestellt ist. „Es ist in vielerlei Hinsicht in Bezug auf die psychische Gesundheit von LGBTI-Minderheiten positiv, die Vielfalt von Menschen sowie Rollen und Rollenbildern präsenter zu machen. Hier kann schon das Elternhaus ansetzen aber ebenso auch Schulen, Kirchen, Politik und die Medien “, meint die Leiterin des DGPPN-Referats Sexuelle Orientierungen und Identitäten in Psychiatrie und Psychotherapie.“ Es ist wichtig, jeder sexuellen Orientierung gegenüber gleichermaßen offen zu sein und Wert zu schätzen und die Menschen darin zu bestärken, dass neben der Heterosexualität auch andere natürliche, gesunde Formen der Sexualität existieren. Das sind auch Ziele psychotherapeutischer Therapien, die Personen mit psychischen Problemen in diesem Kontext weiterhelfen können. Sexuelle Minderheiten benötigen dabei keine speziellen Therapieangebote. Es kann jedoch von Vorteil sein, Therapeuten zu wählen, die spezielles Wissen im Bereich «sexuelle Vielfalt» haben und mit den verschiedenen Lebenswelten vertraut ist.

Das DGPPN-Referat „Sexuelle Orientierung in Psychiatrie und Psychotherapie hat bereits vor einigen Jahren eine Stellungnahme zu Konversionsverfahren bzw. „reparativen“ Verfahren verfasst(**). Die Fachgesellschaft begrüßt ein klares politisches Zeichen gegen Konversionsverfahren.

Quellen:
(1) Coming-out – und dann…?! - Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Deutsches Jugendinstitut e.V. (2015)

(2) Stein-Hilbers, 1999: Gewalt gegen lesbische Frauen. Studie über Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen. Düsseldorf: Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen.

(3) Frohn, Dominic, 2007: Out in Office? Sexuelle Identität, (Anti)Diskriminierung und Diversity am Arbeitsplatz. Köln: Universität zu Köln.

Weiter Informationen:
(*) Stellungnahmen des Weltärztebundes (World Medical Association, WMA)

  • Statement on Natural Variations of Human Sexuality
  • Statement on Transgender People

(**) Stellungnahme des DGPPN-Referats „Sexuelle Orientierung in Psychiatrie und Psychotherapie“ zu Konversionstherapien bzw. „reparativen“ Verfahren bei Homosexualität (Juli 2013)