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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Senioren durch unerwünschte Arzneimittelwechselwirkungen und Nebenwirkungen besonders gefährdet

Senioren sind besonders durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen gefährdet, weil im Alter stärkere Nebenwirkungen durch Medikamente möglich sind und ältere Menschen mitunter die Ansammlung verschiedenfarbiger Tabletten und Kapseln nicht mehr überblicken können.

In unserer alternden Gesellschaft und der damit einhergehenden Zunahme an Erkrankungen (Multimorbidität) nehmen immer mehr Menschen fünf oder mehr Medikamente täglich ein. Diese so genannte Polypharmazie birgt erhöhte Risiken, weil Medikamentenwechselwirkungen möglich sind und die Arzneimittelwirkung erkrankungs- oder therapiebedingt beeinträchtigt sein kann. Interaktionen von Medikamenten können nicht nur die Lebensqualität von Patienten mindern, sondern auch deren Lebenserwartung. Senioren haben ein besonders hohes Risiko, weil im Alter stärkere Nebenwirkungen durch Arzneimittel möglich sind und ältere Menschen mitunter die Ansammlung verschiedenfarbiger Tabletten und Kapseln nicht mehr überblicken können. Ein guter Medikationsplan sowie die Absprache zu sämtlichen Arzneimitteln mit dem Hausarzt und dem Apotheker kann die Risiken, denen Betroffene ausgesetzt sind, verringern. „Mit jedem Medikament, das zusätzlich zu einem anderen eingenommen wird, steigt die Zahl von Arzneimittelkombinationen, die möglicherweise negativ miteinander interagieren können. Viele unerwünschte Arzneimittelwirkungen lassen sich dabei nur schwer von den Symptomen bestehender oder neu aufgetretener Krankheiten unterscheiden, was manchmal weitere Medikamentenverschreibungen nach sich zieht“, berichtet Prof. Dr. Gerhard Gründer von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) mit Gesellschaftssitz in Berlin. „Auch falsch dosierte sowie falsch angewendete Arzneimittel können die Funktionalität des Körpers erheblich beeinträchtigen. Viele Medikamente fördern gerade bei älteren Patienten Verwirrtheit, sogar das Vollbild einer Demenz kann hervorgerufen werden. Zudem können sich ihre Sturzgefahr sowie das Risiko für einen Krankenhausaufenthalt erhöhen.“
In Deutschland werden Hochrechnungen zufolge jährlich zwischen 12.000 und 58.000 Patienten durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) dauerhaft geschädigt oder sterben, etwa 1,5 Prozent aller Klinikeinweisungen stehen im Zusammenhang mit UAW (1). Viele Polypharmazie-Patienten sind sich der Gefahren und Risiken einer Multimedikation nicht bewusst.

Guter Medikationsplan wichtig – auch freiverkäufliche Medikamente berücksichtigen

Um Patienten bei der korrekten Einnahme von mindestens drei verordneten Arzneimitteln zu unterstützen, existiert ein bundeseinheitlicher Medikationsplan. Dieser Medikationsplan soll möglichst sämtliche verschreibungspflichtigen Arzneimittel enthalten, die ein Patient einnimmt, sowie Arzneimittel, welche im Rahmen von Selbstmedikation zusätzlich eingenommen werden. „Nicht nur verschreibungspflichtige, sondern auch freiverkäufliche Medikamente können gefährliche Wechselwirkungen verursachen. Ein umfassender Medikationsplan kann Patienten, Angehörigen sowie Ärzten dann Klarheit über die Arzneimittel-Exposition verschaffen“, rät Prof. Gründer. „Haben Patienten im Hinblick auf den Medikationsplan Verständnisprobleme, sollten sie sich unbedingt mit ihrem Arzt dazu besprechen. Auch in Apotheken besteht die Möglichkeit, sich über eine möglichst optimale Medikamenteneinnahme aufklären zu lassen und sich über mögliche Arzneimittelinteraktionen zu informieren.“ Das Führen eines Medikationsplans sowie ein regelmäßiger Medikamenten-Check kann auch dazu beitragen, bei der Einnahme von Medikamenten ein angemessenes Problembewusstsein zu entwickeln. Ohne ärztliche Rücksprache sollten Medikamente aber keinesfalls einfach abgesetzt werden.

Verschiedene Medikamente für alte Menschen ungeeignet – auf Symptome achten

Ältere Menschen reagieren anders, oft empfindlicher auf Medikamente, weil sich ihre Organfunktionen und der Stoffwechsel im höheren Lebensalter verändern. Bestimmte Nebenwirkungen können daher häufiger und stärker auftreten oder gewünschte Therapieeffekte ausbleiben. Aber auch eine altersbedingte verminderte psychische Anpassungsfähigkeit und soziale Isolierung gehen mit erhöhten Risiken bei der Einnahme von Medikamenten einher. „Es gibt eine Reihe von Arzneimitteln, die immer wieder zu Schwindelanfällen und Stürzen führen können oder auch das Denkvermögen von Betroffenen beeinträchtigen. Problematisch sind unter anderem bestimmte Psychopharmaka, aber auch blutdrucksenkende Wirkstoffe sowie Mittel gegen Blasenfunktions- oder Schlafstörungen“, ergänzt der Experte. „Betroffene, Angehörige und auch Pflegefachkräfte sollten daher bei Patienten genau beobachten, ob im zeitlichen Zusammenhang mit der Gabe eines neuen Medikaments neue Symptome auftreten.“ Auch wenn ein Medikament über lange Zeit gut vertragen wurde, können sich mit zunehmendem Alter unerwünschte Wirkungen einstellen, weil der Organismus mit dem Wirkstoff immer weniger zurechtkommt. Symptome wie beispielsweise Schwindel oder Benommenheit, Schlafstörungen, Verwirrtheit, aber auch Magen-Darm-Beschwerden, sollten unbedingt mit dem Arzt besprochen werden.

Mit der so genannten Priscus-Liste wurde eine Datenbank geschaffen, in der alle verschreibungspflichtigen und rezeptfreien Medikamente erfasst sind, die bei älteren Patienten nicht oder nur mit Vorsicht eingesetzt werden sollen, weil sie ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis und eine vergleichsweise hohe Schadwirkung aufweisen. Die Priscus-Liste informiert zu potentiell inadäquater Medikation für ältere Menschen und soll eine Hilfestellung für Ärzte, Apotheker und Patienten sein, um die medizinische Versorgung älterer Patienten zu verbessern.

Am 1. Oktober findet der "Internationale Tag der älteren Generation" statt, der auf die Situation und Belange von älteren Menschen aufmerksam machen soll.

 

Weitere Informationen:

PRISCUS-Liste: priscus.net

Quellen:


(1) hkk-Gesundheitsreport „Polypharmazie“ (2017)