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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Psychische Erkrankungen: Digital-gestützte Anwendungen ersetzen nicht den Arztkontakt – können ihn aber gezielt ergänzen

Digital-gestützte Interventionen haben durchaus das Potential, die psychische Gesundheitsversorgung zu verbessern. Noch fehlen aber etablierte Qualitätskriterien und -kontrollen und eine ärztliche Betreuung darf nicht herausgezögert oder durch solche Angebote ersetzt werden.

In Deutschland gibt es einen großen Bedarf bei der Behandlung von psychischen Beschwerden oder Störungen. Gleichzeitig bestehen aus unterschiedlichen Gründen Versorgungslücken, die unter anderem lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz zufolge haben. Im Internet sind inzwischen viele Angebote erhältlich, die zur Prävention aber auch zur Behandlung von psychischen Symptomen angeboten werden. Sie reichen von freierhältlichen selbstangeleiteten Trainingsprogrammen über Chat- oder Video-gestützte Konzepte bis hin zu professionell begleiteten Trainingsprogrammen. Ein Teil dieser Angebote hat das Potential, ein Baustein bei der Behandlung von psychischen Störungen zu werden. Gleichzeitig ist dringend davor zu warnen, bei psychischen Problemen allein auf derartige Angebote zurückzugreifen. Noch fehlen etablierte Qualitätskriterien und -kontrollen und eine ärztliche Betreuung darf nicht herausgezögert oder durch solche Angebote ersetzt werden. „Die Behandlung von psychischen Störungen setzt immer eine genaue Diagnose voraus, die nur von einem Facharzt gestellt werden kann. Anlass für psychische Beschwerden können auch körperliche Ursachen – wie beispielsweise Schilddrüsenerkrankungen – sein, die abgeklärt werden müssen. Zudem können sich hinter den gleichen Symptomen unterschiedliche behandlungsbedürftige Erkrankungen verbergen oder auch mehrere psychische Störungen auftreten, die eine spezifische, zielgerichtete Behandlung erfordern“, erklärt Dr. Iris Hauth von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und Sprecherin der DGPPN-Taskforce E-Mental-Health. „Es wäre gefährlich, allein auf internetbasierte Angebote zurückzugreifen, wenn ernsthafte oder längerfristige psychische Beschwerden bestehen. Vielmehr sollte man sich zeitnah an einen Psychiater oder auch zunächst an den Hausarzt wenden.“ Auch bei internetbasierten Interventionen, so haben Studien gezeigt, ist eine solide Eingangsdiagnostik wichtig, um geeignete Programme für eine spezifische Indikation auszuwählen.

Als Ergänzung zu herkömmlichen Versorgungsangeboten sinnvoll

Digital-gestützte Interventionen haben durchaus das Potential, die psychische Gesundheitsversorgung zu verbessern. Für eine Reihe von Angeboten liegen inzwischen gesicherte Wirksamkeitsnachweise vor, wenngleich auch sie noch nicht anhand von definierten Qualitätskriterien angeboten werden. „Sehr gut untersucht sind Programme zur Behandlung von Depression und Angststörungen, den beiden am weitesten verbreiteten psychischen Erkrankungen in der Bevölkerung. Hier haben sich gute Erfolge gezeigt, wobei die Interventionen meist auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen beruhen“, berichtet Dr. Hauth. „Sowohl therapeutisch begleitete als auch unbegleitete Interventionen sind wirksam. “ Aber es fehlen noch Qualitätskriterien, an denen sich Patienten und verordnende Ärzte orientieren können. Möchten Personen im Rahmen der Prävention von psychischen Beschwerden Online-Programme einsetzen, können sie sich beispielsweise an internetbasierten Interventionen orientieren, die von den gesetzlichen Krankenkassen angeboten werden. Mitunter sind solche Angebote jedoch kostenpflichtig – sofern man nicht bei der anbietenden Kasse versichert ist. Und auch diesen Angeboten fehlt letztlich noch ein etabliertes Qualitätssiegel.

Selbstmanagement-Programme sind niederschwellig zugänglich, überall erreichbar und stehen rund um die Uhr zur Verfügung. Gerade für bestimmte Gruppen, wie beispielsweise Menschen in dünnbesiedelten Regionen, Personen, die keine regelmäßigen wöchentlichen Psychotherapie-Termine wahrnehmen können und auch bei monatelanger Wartezeiten auf einen Therapieplatz, können solche Angebote in Zukunft sehr chancenreich sein. Die Anonymität von Online-Therapieangeboten könnte manchen Menschen mit psychischen Problemen den Zugang zur Versorgung erleichtern und dabei helfen, mögliche Stigmatisierungen zu reduzieren. Weil Online-Interventionen grundsätzlich aber auch mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden sein können, sind wissenschaftliche Überprüfungen und die Etablierung geeigneter Qualitätskriterien notwendig. Die E-Mental-Health-Taskforce der DGPPN entwickelt derzeit Qualitätskriterien für internetbasierte Therapien, die zugleich auch eine Voraussetzung für deren Integration in die Regelversorgung darstellen.

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