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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Partizipative Entscheidungsfindung: Patient und Arzt als Team bei der Therapie von psychischen Erkrankungen

Eine aktive Teilhabe und Mitgestaltung von Patienten an medizinischen Entscheidungen wird in der zeitgemäßen psychiatrischen Versorgung als vorteilhaft und notwendig verstanden, denn sie stellt den mündigen Patienten in den Mittelpunkt des Handelns. Patienten sind heutzutage in der Regel bereits durch die steigende Verfügbarkeit medizinischer Fachinformationen besser über psychische Erkrankungen und deren Behandlungsmöglichkeiten informiert. Auch das Selbstverständnis und die Rollenerwartung der Patienten haben sich deutlich gewandelt und es wird von Patientenseite immer häufiger die persönliche Teilnahme an medizinischen Entscheidungen explizit gewünscht. Der Ansatz, Patienten darin zu unterstützen, gemeinsam mit dem Behandler möglichst selbstbestimmt über ihre weiteren Therapien zu entscheiden, wird als «partizipative Entscheidungsfindung» bezeichnet.

„Wir versuchen, die Patientenversorgung heute mehr denn je als Interaktionsprozess zu gestalten und ein gleichberechtigtes Setting zu schaffen, in dem die Entscheidungen über Behandlungsmöglichkeiten partnerschaftlich gefällt werden“, erklärt Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) mit Sitz in Berlin. „Hiermit soll erreicht werden, dass Arzt und Patient gemeinsam versuchen, zu einer gemeinsam verantworteten Übereinkunft zu gelangen.“ Durch dieses Vorgehen erhofft man sich langfristig auch positive Effekte auf die Behandlungszufriedenheit und den Therapieerfolg bei Patienten. Eine partizipative Entscheidungsfindung erhöht das Wissen der Patienten und fördert ihren aktiven Einbezug in die Therapieplanung. Zudem kann sie dabei helfen, Präferenzen zu reflektieren und eine selbstbestimmte Einstellung zu medizinischen Behandlungen zu verstärken und zu unterstützen.

Aktive Kommunikation von Patientenseite wichtig

Damit eine partizipative Entscheidungsfindung gelingen kann, tauschen sich Arzt und Patient aktiv über die Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Behandlungsoptionen aus, die sich hinsichtlich Ergebnis, Risiken und Nutzen unterscheiden können. Ärzte, aber auch Patienten, müssen ihre Behandlungspräferenzen offenlegen und behandlungsrelevante persönliche Informationen austauschen. „Es ist wichtig, dass nicht nur Informationen mitgeteilt werden, sondern die jeweiligen Präferenzen für die Behandlungsoptionen von Arzt und Patient auch gegenseitig vermittelt und verstanden werden“, betont Prof. Heinz. „Nur dadurch ist ein gemeinsam verantwortetes Teilen der Entscheidung auch möglich.“ Als Ergebnis des Prozesses kann dann eine Entscheidung für oder gegen eine vorgeschlagene Therapieoption stehen. Wichtig ist, dass beide Parteien der Entscheidung zustimmen. Verantwortlich für die Entscheidung sind also Arzt und Patient gemeinsam.

Beteiligungsbedürfnisse von Patienten werden berücksichtigt

Manche Patienten, die gut informiert sind und sich dazu fähig fühlen, möchten die Entscheidung über ihre weitere Therapie vielleicht lieber alleine treffen. Andere Patienten berichten, dass sie sich in akuten Krankheitsphasen nicht dazu in der Lage fühlen, sich an Entscheidungen zu beteiligen; dieser Teil der Patienten kann daher zwischenzeitlich das Bedürfnis haben, die Verantwortung über die weitere Behandlung für eine begrenzte Zeit gänzlich an den behandelnden Arzt abzugeben. „Auch diese Wahlmöglichkeiten sind bei der Anwendung der partizipativen Entscheidungsfindung gegeben – wichtig ist, dass die Übereinkunft gemeinsam getroffen wird“, ergänzt Prof. Heinz.

Entscheidungsassistenz kann Patienten zu Selbstbestimmung befähigen

Für den Arzt muss das Beteiligungsbedürfnis von Patienten erkennbar sein. Ärzte müssen beurteilen, ob passives Verhalten bei der Entscheidungsfindung aufgrund krankheitsbedingt eingeschränkter Befähigung oder auch im Rahmen eines depressiv verminderten Kompetenzgefühls erfolgt. Auch die Qualität der Entscheidungsfähigkeit von Patienten muss berücksichtigt werden. Nicht jeder Mensch ist (zu jedem Zeitpunkt) gleichermaßen in der Lage, komplexe Entscheidungen über Ziele, Art und Zeitpunkt von Behandlungen zu treffen. „Elementarer Ansatz – auch aus medizinethischer Sicht – ist es dann, die Entscheidungsfähigkeit von Patienten zu stärken und Hindernisse für deren Verwirklichung abzubauen. Wir versuchen, Patienten so weit wie möglich bei der Willensbildung und Willensäußerung zu helfen und die Selbstbestimmung durch Unterstützungsmaßnahmen zu verstärken oder wiederherzustellen – im Sinne einer «assistierten Entscheidungsfindung»“, erklärt Prof. Heinz. Die Assistenz bei der Entscheidungsfindung kann dabei durch den Arzt selbst sowie auch mithilfe der Angehörigen und dem persönlichen Umfeld der Patienten, aber auch von Genesungsbegleitern erfolgen. Eine erfolgreiche Entscheidungsassistenz bedeutet für den Patienten, dass er wesentlich an der Therapieentscheidung mitwirkt oder zumindest in dem von ihm bevorzugten Ausmaß beteiligt wird.

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