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Großstädter haben ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen- Stressabbau und gute Sozialkontakte schützen

Die Urbanisierung bringt neben vielen Vorteilen auch Nachteile mit sich - darunter erheblich stärkere Risiken für die psychische Gesundheit. Weltweit kommen Depressionen und Angsterkrankungen in Städten um 40 Prozent häufiger vor, schizophrene Psychosen treten gar um 300 Prozent öfter auf.

Urbanisierung gehört zu den größten Veränderungen, der die Menschheit jemals gegenüberstand. Der Lebensraum Stadt bringt neben vielen Vorteilen etwa in Bezug auf berufliche Perspektiven, Gesundheitsversorgung oder Bildungsmöglichkeiten auch diverse negative Aspekte mit sich. Das Leben in Ballungszentren ist aus verschiedenen Gründen mit einer höheren Stressbelastung verbunden als in ländlichen Lebensräumen und das wirkt sich auf die psychische Gesundheit aus. Als negative Folgen des verdichteten städtischen Lebensraums gelten einerseits höhere Lärm-, Nachtlicht- und Luftbelastungen, wodurch sich gesundheitliche Beeinträchtigungen ergeben können. Zum anderen spielen negative Begleiterscheinungen durch Masse, Anonymität und soziale Isolation eine Rolle. „Es ist bekannt, dass Großstadtbewohner ein deutlich höheres Risiko tragen, bestimmte schwere psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen aber auch psychotische Erkrankungen zu entwickeln“, berichtet Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) mit Sitz in Berlin. „Längerfristiges Stresserleben spielt bei der Entstehung vieler psychischer Erkrankungen eine große Rolle und diesem Erleben sind Menschen in der Großstadt stärker ausgesetzt. Ihr Gehirn reagiert erheblich empfindlicher auf Stress als das von Landbewohnern, weswegen Stressreaktionen schon bei niedrigerer Reizschwelle ausgelöst werden. Die Stressaktivität des Gehirns steigt dabei mit der Einwohnerzahl der Umgebung und ist bei Menschen, die in Großstädten aufgewachsen sind, besonders ausgeprägt.“ Weltweit kommen Depressionen und Angsterkrankungen in Städten um 40 Prozent häufiger vor. Bei in der Stadt geborenen und aufgewachsenen Menschen treten besonders schizophrene Psychosen häufiger auf – das Erkrankungsrisiko ist hier um rund 300 Prozent erhöht.

Sozialer Stress und soziale Isolation treffen in Städten aufeinander

Für das vermehrte Auftreten psychischer Erkrankungen in urbanen Lebensräumen scheint die soziale Dichte eine Einflussgröße zu sein. Paradoxerweise leben in der Stadt die Menschen zwar enger beieinander, die Anzahl Ihrer Freunde und engen Bekannten, das sogenannte „supportive soziale Netz“, ist auf dem Land aber deutlich größer. „Leben Menschen dichter nebeneinander, sind sie stärker mit sozialen Stressfaktoren wie etwa Gruppen- oder Statusstress konfrontiert. Soziale Belastungsfaktoren wirken vielfältig, wobei sozialer Abstieg und Diskriminierung als besonders schwerwiegende Risiken für die psychische Gesundheit gelten - auch weil sie die Möglichkeit schmälern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“, erklärt Prof. Meyer-Lindenberg. „Soziale Isolation ist ein weiterer problematischer Aspekt des Lebensraums Stadt. Denn trotz oder vielmehr gerade wegen der großen Dichte fühlen sich manche Menschen einsam. Sozialkontakte sind im Großstadt-Alltag oft flüchtig und oberflächlich und unterliegen vielfach einer irritierenden zwischenmenschlichen Nicht-Wahrnehmung. Fehlt es gleichzeitig an einem guten sozialen Netz und wertvollen Beziehungen, macht dies Menschen angreifbarer und erhöht ihr Erkrankungsrisiko.“ Für die seelische Erholung sind Menschen auch auf Sozialkontakte angewiesen, bei denen sie sich akzeptiert und wohl fühlen und die ihnen die Möglichkeit geben, sich als wertvoll zu erfahren.

Stressabbau und soziale Bindungen schützen

Bestimmte Umstände erhöhen also das Risiko, als Großstadtbewohner eine psychische Erkrankung zu erleiden. Menschen kommen jedoch grundsätzlich sehr unterschiedlich mit dem Stadtleben zurecht. Bemerken Personen aber, dass sie chronisch gestresst sind, sollten sie möglichst bald gegensteuern und geeignete Maßnahmen zur individuellen Entspannung im Alltag verankern. „Neben körperlicher Aktivität, Entspannungsübungen oder befreienden Ausflügen in die Natur sind es harmonische soziale Beziehungen, die wichtig für die psychische Gesundheit sind. Regenerationsphasen und Stressabbau sollten dabei regelmäßig erfolgen, um das Wohlbefinden zu erhalten oder wieder zu verbessern“, rät Prof. Andreas Meyer-Lindenberg. „Diese Dinge geht man am besten aktiv an, denn auch das Gefühl, selbsttätig einen günstigen Einfluss auf das eigene Leben nehmen zu können, ist der psychischen Gesundheit zuträglich.“ Zeigen Maßnahmen zum Stressabbau nicht die gewünschte Wirkung und stressbedingte Beschwerden treten über einen längeren Zeitraum auf, können sich die Betroffenen an ihren Hausarzt oder einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie wenden.

Quelle: Psyche im Fokus – Das Magazin der DGPPN, Stress in der Großstadt, Ausgabe 2/15

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