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Achtsamkeitstraining kann bei Angststörungen eine gute Therapieoption zu Medikamenten sein

© Robert Kneschke_Fotolia.com

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Ein achtsamkeitsbasiertes Stressreduktionstraining kann Angststörungen ähnlich effektiv lindern wie ein Antidepressivum. Darauf weisen Experten des Berufsverbands Deutscher Nervenärzte (BVDN) hin.

Mit einem achtsamkeitsbasierten Stressreduktionstraining (englisch: mindfulness based stress reduction = MBSR) lassen sich Angststörungen ähnlich effektiv behandeln wie mit einem Antidepressivum. Zu diesem Ergebnis kommt eine US-Studie mit 276 Patienten im Alter zwischen 18-75 Jahren, die unter einer generalisierten Angststörung, sozialer Angststörung, Panikstörung oder Platzangst (Agoraphobie) litten (siehe JAMA Psychiatry, online seit 9.11.2022). Diese erhielten entweder ein Antidepressivum (Escitalopram) oder ein 8-wöchiges achtsamkeitsbasierten Stressreduktionstraining mit täglichen Übungen, die zu Hause in Eigenregie durchgeführt werden sollten, sowie wöchentlichen Gruppensitzungen und zusätzlich einem eintägigen Seminar zwischen Woche 5 und 6. Dabei wurden verschiedene Formen der Achtsamkeitsmeditation – bewusstes Atmen, bewusste Bewegung, bewusste Körperwahrnehmung - trainiert.

Mehr Nebenwirkungen durch Medikamente

Nach acht Wochen reduzierten sich die Schwere der Angststörung und die Last der Symptome in beiden Gruppen in vergleichbarem Ausmaß. Allerdings brachen in der Antidepressivum-Gruppe 8 Prozent der Patient:innen die Studie aufgrund von Nebenwirkungen ab, in der Achtsamkeitsgruppe hingegen niemand. Vor allem zu Beginn einer medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva können Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Verstopfung, Kopfschmerzen und Schwindel vorkommen und als unangenehm empfunden werden. Generell wurden in der Antidepressivum-Gruppe bei 79 Prozent der Studienteilnehmer therapiebedingte Nebenwirkungen notiert, in der Achtsamkeitsgruppe nur bei 15 Prozent. „Bei Angststörungen kann das achtsamkeitsbasierte Stressreduktionstraining als eine gut verträgliche Therapieoption mit vergleichbarer Wirksamkeit wie eine Erstlinien-Medikation angesehen werden“, bestätigt Prof. Dr. med. Gereon Nelles vom Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN), Facharzt für Neurologie und spezielle Schmerztherapie sowie Psychotherapeut in Köln-Hohenlind.

Künftig auf Stress- und Belastungssituationen anders reagieren

Die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie (Mindfulness Based Cognitive Therapy, MBCT) kombiniert Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie mit Übungen zur Achtsamkeit. Die Patient:innen sollen lernen, Angst verursachende Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen als solche wahrzunehmen, um dadurch Rückfällen bewusst gegensteuern zu können. In achtwöchigen MBCT-Trainingsprogrammen erlernen die Teilnehmer Achtsamkeitsübungen im Liegen, Sitzen und Gehen. Bei allen Übungen steht das nicht wertende Annehmen dessen, was im jeweiligen Moment gerade wahrnehmbar ist, im Vordergrund. Körperliche Empfindungen, Gedanken und Gefühle sollen neugierig wahrgenommen aber nicht bewertet werden. „Das ermöglicht, ungünstige automatisierte Reaktionsmuster zu erkennen, um diese fortan aus einer gewissen Distanz heraus betrachten zu können und dabei gelassener zu werden, so dass auf Stress- und Belastungssituationen künftig anders reagiert werden kann“, erläutert Prof. Nelles.

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