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Neue App unterstützt Geflüchtete im Umgang mit posttraumatischem Stress

Foto: Screenshot der App, die es in deutscher und arabischer Sprache gibt. © Universität Leipzig

Foto: Screenshot der App, die es in deutscher und arabischer Sprache gibt. © Universität Leipzig

Für Geflüchtete wurde eine App entwickelt, die Vorurteile gegenüber psychischen Belastungen abbaut und zur Überbrückung von Wartzeiten auf eine ambulante Therapie hilfreich sein kann.

Eine App zur Unterstützung im Umgang mit posttraumatischem Stress und verwandten psychischen Belastungen haben Wissenschaftler:innen der Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit syrischen Geflüchteten und einer Agentur für E-Mental-Health-Angebote entwickelt und wissenschaftlich überprüft (siehe JMIR MHealth and UHealth 2021, Band 9/1, e24807, Seite 1). Nun wurde die App „Sanadak“ in arabischer sowie deutscher Sprache veröffentlicht und steht Nutzer:innen kostenfrei zur Verfügung.

„Damit bieten wir ein niedrigschwelliges Soforthilfe-Programm an, das Wissen und Orientierung bei psychischen Gesundheitsfolgen von Flucht liefert und auf interaktive Weise einfache, alltagsorientierte Schritte zur Bewältigung von posttraumatischem Stress vermittelt“, erklärt Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller, Direktorin am Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) der Medizinischen Fakultät.

Flucht vor Krieg und Konflikten hat häufig Folgen für die psychische Gesundheit. Gleichzeitig sind kultur- und sprachsensitive Behandlungsmöglichkeiten in Aufnahmeländern oft knapp und mit langen Wartezeiten verbunden. „Außerdem werden therapeutische Angebote aus Angst und aufgrund von Vorurteilen gegenüber psychischen Erkrankungen häufig gar nicht erst aufgesucht. Mit der App wollen wir helfen, eine Versorgungslücke zu füllen, Stigmatisierungen gegenüber psychischen Erkrankungen abzubauen und somit Hürden für eine Therapieaufnahme zu senken“, erklärt Dr. Susanne Röhr, Projektkoordinatorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am ISAP.

Die Wirksamkeit der App wurde mit einer Kontrollstudie an der Medizinischen Fakultät überprüft. Von insgesamt 133 syrischen Geflüchteten im Alter zwischen 18 und 65 Jahren aus Leipzig, Dresden und Halle/Saale, testete die Hälfte der Teilnehmenden die App über einen Zeitraum von vier Wochen, während die andere Hälfte im Rahmen einer aktiven Kontrollbedingung eine umfangreiche psychoedukative Broschüre zu posttraumatischem Stress und Bewältigungsstrategien erhielt.

In Befragungen direkt nach der Testphase und erneut nach vier Monaten zeigte sich ein starker Rückgang der posttraumatischen Belastung, von depressiven Symptomen und des Angsterlebens in beiden Gruppen. Die App-Nutzer:innen empfanden ihre psychische Erkrankung zudem weniger als Stigmatisierung. Es traten keine unerwünschten Nebenwirkungen auf. „Aus unseren Studienergebnissen lässt sich schlussfolgern, dass Sanadak Vorurteile gegenüber psychischen Belastungen abbaut und als erste Hilfe sowie zur Überbrückung von Wartzeiten auf eine ambulante Therapie hilfreich sein kann“, erklärt Dr. Röhr.

Der Bedarf ist hoch: Seit Ausbruch des Krieges in Syrien im Jahr 2011 sind laut Vereinten Nationen über sechs Millionen Menschen aus dem Land geflüchtet. Damit war Syrien bis 2021 das weltweit größte Herkunftsland von Geflüchteten. Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge suchten in Deutschland bisher fast 900.000 Syrer Asyl. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass rund drei Viertel der syrischen Geflüchteten in Deutschland vor, während oder nach der Flucht traumatische Ereignisse selbst erlebt haben oder mit ansehen mussten. In der Konsequenz hat mehr als jeder Zehnte eine posttraumatische Belastungsstörung, Depression oder Angststörungen.

Um die tatsächlichen Bedürfnisse der Nutzer:innen zu kennen, wurden die Inhalte der App in enger Abstimmung mit syrischen Geflüchteten entwickelt. Es gibt eine arabischsprachige und eine deutschsprachige Version. Die App ist wie ein Baukasten-System aufgebaut: Zentrale Inhalte beschäftigen sich mit der Bewältigung von psychischen Belastungen oder dem Umgang mit Trauma-Auslösern auf Basis erprobter verhaltenstherapeutischer Techniken. Das Programm bietet darüber hinaus Hilfe bei der Suche nach sozialer Unterstützung und zeigt auch auf, welche Aktivitäten beim Entspannen helfen.

Quelle: Universität Leipzig