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Epilepsie-Therapie: Gen verrät, ob Medikamente wirken

Epilepsie, die im Säuglingsalter auftritt, kann einer aktuellen Studie zufolge nun deutlich gezielter behandelt werden, da sie auf eine bestimmte genetische Ursache zurückgeführt werden kann.

Säuglinge, bei denen eine bestimmte Epilepsie in den ersten drei Lebensmonaten ausbricht, profitieren von anderen Medikamenten als Kinder, die später erkranken. Diesen Unterschied hat ein internationales Forscherteam unter Federführung deutscher Neuropädiater und Neurologen jetzt für Epilepsien, die durch eine Mutation des Gens SCN2A verursacht werden, aufgedeckt. Die Ergebnisse sind in der Mai-Ausgabe des Fachmagazins „BRAIN“ veröffentlicht.

Eine seltene, aber wichtige Ursache von Epilepsien bei Kindern sind Mutationen im Natriumkanal-Gen SCN2A. Sie lösen schwer verlaufende und sehr schwierig zu behandelnde Epilepsien aus, die auch mit Entwicklungsstörungen einhergehen. Kinder mit einem frühen Krankheitsbeginn profitierten der neuen Untersuchung zufolge deutlich von einer medikamentösen Therapie mit Natriumkanal-Blockern. „Von diesem neuen Wissen profitieren vor allem Neugeborene und Säuglinge mit schweren epileptischen Anfällen: Sie können jetzt gezielter behandelt werden“, kommentiert die Neurogenetikerin Professorin Christine Klein, stellvertretende Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Das erhöht die Chance der Kinder, rasch anfallsfrei zu werden, und kann Entwicklungsstörungen verhindern.“ Die DGN, die Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP) und die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) bewerten die Ergebnisse als einen wichtigen Meilenstein in der Behandlung von Epilepsien, die durch eine Mutation des Gens SCN2A ausgelöst werden.

Epilepsie im Kindesalter oft genetisch bedingt

Epilepsien betreffen etwa ein Prozent der Bevölkerung, beinahe jede zweite beginnt im Kindesalter. „Kindliche Epilepsien sind – wie viele neurologische Erkrankungen – oft genetisch bedingt. Immer häufiger findet die Forschung wie in diesem Fall in der Genetik auch einen Schlüssel zur Therapie“, sagt Klein, Leiterin des Instituts für Neurogenetik an der Universität zu Lübeck. „Die Genetik eröffnet uns eine neue Ära in der Behandlung von Epilepsie-Patienten, ganz im Sinne einer nach dem Gendefekt individualisierten Behandlung“, kommentiert Dr. Thomas Mayer, Chefarzt im Sächsischen Epilepsiezentrum Radeberg und Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE).

„Da SCN2A-assoziierte Epilepsien sich häufig bis ins Erwachsenenalter fortsetzen, könnte dies auch für Erwachsene relevant werden. Sie könnten vielleicht schon allein durch das Absetzen der falschen Medikamente profitieren“, ergänzt Professor Holger Lerche, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie am Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung und Universitätsklinikum Tübingen.

Epilepsie ist durch Fehlfunktion von Ionenkanälen verursacht

Die Funktionsfähigkeit des Gehirns beruht unter anderem auf dem Zusammenspiel vieler verschiedener Ionenkanäle. Sie verhindern eine überschießende Ausbreitung elektrischer Aktivität durch ein sensibles Gleichgewicht zwischen hemmenden und fördernden Einflüssen. Die Ionenkanäle – darunter auch der Natriumkanal SCN2A – sitzen gemeinsam mit vielen weiteren Poren und Kanälen in der Zellwand einer Nervenzelle. Durch Öffnen und Schließen bestimmt SCN2A den Durchfluss von Natriumionen und beeinflusst damit die elektrische Erregbarkeit der Nervenzellen. Wenn die Funktion dieser Kanäle durch Genmutationen gestört ist (wie z.B. bei SCN2A-Mutationen der Natriumkanal), können epileptische Anfälle entstehen. Umgekehrt kann man durch die Regulierung der Aktivität von Ionenkanälen epileptische Anfälle verhindern. Medikamente gegen Epilepsie (Antiepileptika) machen sich genau dieses Prinzip zu eigen. Ein wichtiger antiepileptischer Wirkmechanismus ist die Blockade von Natriumkanälen mit Natriumkanal-Blockern.

Literatur: Wolff M. et al. Genetic and phenotypic heterogeneity suggest therapeutic implications in SCN2A-related disorders. Brain (2017) 140 (5): 1316–1336

Quelle: Gemeinsame Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP) und der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE)