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Wie sich Autismus-Mutationen auf molekularer Ebene auswirken

Welche Störungen bei der nervalen Signalübertragung durch Genveränderungen (Mutationen) hervorgerufen werden, die mit Autismus in Verbindung stehen, haben Forschende jetzt entschlüsselt.

Im Road Movie „Rain Man“ von 1988 spielte Dustin Hoffmann in einer seiner Paraderollen einen inselbegabten Autisten, angelehnt an das Leben des bekanntesten Savants, Kim Peek. Autismus bzw. Autismus-Spektrum-Störungen sind eine komplexe Entwicklungsstörung des Gehirns, die mit Besonderheiten in der Wahrnehmung und Bewertung von Sinnesreizen einhergeht. Autistischen Menschen fällt es zum Beispiel schwer, mit anderen Menschen zu kommunizieren und sozial zu interagieren, sie flüchten sich oft in stereotype Verhaltensmuster und haben manchmal auch kognitive Probleme oder sog. Inselbegabungen (sog. Savant-Syndrom).

Am Entstehen von Autismus können genetische Veränderungen (Mutationen) beteiligt sein. Die betroffenen Genprodukte sind wichtige Proteine in den Synapsen des Gehirns (also den Kontaktstellen zur Signalübertragung zwischen den Nerven) - wie zum Beispiel das sog. SHANK3-Molekül. SHANK3 ist ein Gerüst-Protein, welches viele Bindungsstellen für andere Proteine aufweist und als eine Art Master-Organizer für die postsynaptische Proteinmaschinerie fungiert: Es verknüpft Transmitterrezeptoren, Signalmoleküle und das Zytoskelett und ist unverzichtbar für die präzise Arbeit der Synapsen.

Welche Auswirkungen haben die bei autistischen Patienten gefundenen Mutationen auf die Funktionsweise des SHANK3-Proteins? Michael Bucher, ein Doktorand in den Arbeitsgruppen von Dr. Michael R. Kreutz und Dr. Marina Mikhaylova vom Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg (LIN), dem Zentrum für Molekulare Neurobiologie Hamburg (ZMNH) und der Humboldt-Universität Berlin haben in enger Zusammenarbeit mit dem Labor von Dr. Eunjoon Kim vom südkoreanischen Advanced Institute of Science and Technology für zwei dieser Mutationen die defekten Proteine mittels Gentechnik nachgebaut und ihre Struktur analysiert. Mit biophysikalischen Verfahren konnten sie nachweisen, dass die Mutationen zu Veränderungen in der dreidimensionalen Proteinstruktur führen, die weitreichende Konsequenzen haben (siehe Elife, Online-Veröffentlichung am 4.5.2021): Die mutierten SHANK3-Proteine gelangen in den Nervenzellen weniger in die Synapsen, wodurch deren Funktion gestört wird.

„Wir konnten sehen, dass die Mutationen SHANK3 so veränderten, dass es die Ordnung und Dynamik der Proteine in erregenden Synapsen nicht mehr organisieren konnte. Damit haben wir molekular entschlüsselt, warum bei Patienten, die diese Mutationen tragen, Störungen in den synaptischen Verknüpfungen entstehen, die z.B. für die kognitiven Symptome verantwortlich sein könnten“, so Michael Bucher, Erstautor der Studie. Im nächsten Schritt sollen die mutierten Autismus-Risikoproteine nun in Mäusen untersucht werden, um die Auswirkungen auf deren Verhalten direkt zu analysieren.

Quelle: Leibniz-Institut für Neurobiologie