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Wie Schlaf dazu beiträgt, Emotionen zu verarbeiten

Wie das Gehirn während des REM-Schlafs dazu beiträgt, positive Emotionen zu verfestigen und stark negative oder traumatische Emotionen abzuschwächen, beschreiben Forschende der Uni Bern.

Wie das Gehirn während des REM-Schlafs Emotionen sortiert, um die Speicherung positiver Emotionen zu verstärken und zu verhindern, dass traumatische Erinnerungen sich im Gehirn verfestigen, haben Forschende der Universität Bern und Inselspital, Universitätsspital Bern entdeckt (siehe Science, online seit 12.5.2022). Die Erkenntnisse unterstreichen die Bedeutung des Schlafs für die menschliche Gesundheit und eröffnen neue Wege für therapeutische Strategien.

Der REM-Schlaf (Rapid Eye Movement oder paradoxer Schlaf) ist ein einzigartiger und rätselhafter Schlafzustand, in dem das Gehirn hellwach und der Körper unbeweglich ist. Während dieser Schlafphase treten die meisten Träume mit intensiven emotionalen Inhalten auf. Die frontale Hirnrinde, der sogenannte präfrontale Kortex, verarbeitet viele dieser Emotionen während des Wachzustands, scheint aber paradoxerweise während des REM-Schlafs ruhig zu sein. „Unser Ziel war es, den zugrunde liegenden Mechanismus und die Funktionen dieses überraschenden Phänomens zu verstehen“, erklärt Prof. Antoine Adamantidis vom Department for BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern und der Universitätsklinik für Neurologie des Inselspitals, Universitätsspital Bern.

Das Verarbeiten von Emotionen, insbesondere die Unterscheidung von Gefahr und Sicherheit, sowie das Vermeiden von Panikzuständen, ist bei Tieren entscheidend, um zu überleben. Auch beim Menschen führen übermäßig negative Emotionen wie Furchtreaktionen und Angstzustände zu Krankheiten, wie etwa zu posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). In Europa sind ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung von anhaltenden Angstzuständen und schweren psychischen Erkrankungen betroffen. Die internationale Forschungsgruppe um Antoine Adamantidis liefert nun erstmals Erkenntnisse, wie das Gehirn während des REM-Schlafs dazu beiträgt, positive Emotionen zu verfestigen und stark negative oder traumatische Emotionen abzuschwächen.

Die Forschenden trainierten (konditionierten) zunächst Mäuse darauf, auditive Reize zu erkennen, die mit Sicherheit assoziiert werden, und solche, die mit Gefahr verbunden sind. Anschließend wurde die Aktivität der Nervenzellen im Gehirn der Mäuse während der Schlaf- und Wachzyklen aufgezeichnet. So konnten die Forschenden verschiedenen Bereiche einer Zelle abbilden und feststellen, wie emotionale Erinnerungen während des REM- oder Traumschlafs umgewandelt werden.

Nervenzellen bestehen aus einem Zellkörper und feinsten plasmatischen Verästelungen (Dendriten), die über Verknüpfungen (Synapsen) den Kontakt zu Tausenden anderer Nervenzellen herstellen. Bei den Beobachtungen der Mäuse zeigte sich, dass die Zellkörper der Nervenzellen im REM-Schlaf deaktiviert werden, während ihre Dendriten aktiviert werden. „Dies bedeutet eine Entkopplung dieser beiden: sozusagen Zellkörper im Tiefschlaf und Dendriten im Wachzustand“, berichtet Adamantidis.

Diese Entkopplung ist deshalb von Bedeutung, weil einerseits durch die starke Aktivität der Dendriten sowohl Gefahren- als auch Sicherheitsgefühle unterschieden werden können. Zugleich sind die Zellkörper deaktiviert, so dass sie während des REM-Schlafs keine Signale weiterleiten können. Mit anderen Worten: Das Gehirn begünstigt die Unterscheidung zwischen Sicherheit und Gefahr in den Dendriten. Gleichzeitig wird aber die Überreaktion auf Emotionen, insbesondere auf Gefahr, blockiert.

Laut den Forschenden ist das Nebeneinander dieser beiden Mechanismen für die Stabilität und das Überleben einer Spezies von Vorteil: „Die Fähigkeit der Nervenzellen, sich anzupassen und Signale in zwei Richtungen zu leiten, ist unerlässlich, um optimal zwischen zwischen Gefahr und Sicherheit unterscheiden zu können“, erklärt Mattia Aime vom DBMR, Erstautor der Studie.

Fehlt diese Unterscheidung beim Menschen und kommt es zu übermäßigen Furchtreaktionen, kann dies unter anderem zu Angststörungen führen. Die Erkenntnisse sind besonders relevant für pathologische Zustände wie posttraumatische Belastungsstörungen, bei denen Traumata noch Tage später im präfrontalen Kortex übermäßig verfestigt werden, möglicherweise auch im Schlaf.

Die Studie ermöglicht ein besseres Verständnis davon, wie Emotionen während des Schlafs beim Menschen verarbeitet werden, und eröffnet neue Perspektiven für die Behandlung von traumatischen Erinnerungen wie der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Weitere akute oder chronische psychische Erkrankungen, die mit dieser Entkopplung von Nervenzellkörper und Dendriten während des Schlafs zusammenhängen könnten, sind akuter sowie chronischer Stress, Angst, Depression, Panik oder sogar Anhedonie, die Unfähigkeit, Freude zu empfinden. Schlafforschung und Schlafmedizin sind seit langem ein Forschungsschwerpunkt der Universität Bern und des Inselspitals, Universitätsspitals Bern. „Wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse nicht nur Patientinnen und Patienten zugutekommen, sondern auch der breiten Allgemeinheit“, bekräftigt Adamantidis.

Quelle: Universität Bern