Weinkenner erkennen bereits am ersten Schluck den Jahrgang, Künstler sehen winzige Farbabweichungen und Blinde unterscheiden feinste Oberflächenstrukturen. Warum sind sie Laien auf ihrem Gebiet so überlegen? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Bernstein Zentrums Berlin, des Exzellenzclusters NeuroCure und der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg haben herausgefunden, welche Bereiche des Gehirns besonders aktiv sind, wenn man seine Wahrnehmung schult.
In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Neuron* zeigen sie: Nicht durch das visuelle Verarbeiten von immer mehr Details wird man zum Experten, sondern durch die Fähigkeit, Feinheiten immer besser zu unterscheiden. Die Forscherinnen und Forscher aus der Arbeitsgruppe von Prof. John-Dylan Haynes, Leiter des Berlin Center for Advanced Neuroimaging an der Charité, haben gemeinsam mit ihren Magdeburger Kollegen am Beispiel visueller Reize untersucht, wie sich die Hirnaktivität im Laufe des Lernprozesses verändert. Dafür maßen sie Änderungen der Nervenzellaktivität im Gehirn mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT). Ihre Überlegung lautete: Beruht der Lerneffekt vor allem auf einer detaillierteren Darstellung der Reize, so sollte in erster Linie das Sehzentrum aktiv sein. Ist hingegen die Interpretation der Reize im Gehirn der Grund für die Fortschritte der Lernenden, so sollte sich das in den Bereichen zeigen, die für Entscheidungen eine Rolle spielen.
Die fMRT misst Änderungen in der Sauerstoffversorgung des Blutes. Die Tatsache, dass hoch aktive Nervenzellen mehr Sauerstoff verbrauchen als schwach aktive, wird als Maßstab für die Zellaktivität genutzt. Mit neuen Analysemethoden ist es der Arbeitsgruppe von Prof. Haynes in den letzten Jahren gelungen, damit nicht nur punktuelle Aktivierungen, sondern auch komplexe Muster der Hirnaktivität zu untersuchen.
„Die fMRT-Messungen zeigten deutlich, dass die Aktivität im Sehzentrum während des gesamten Lernvorgangs gleich blieb“, erklärte Prof. Haynes. Eine Region im Präfrontalen Kortex aber, die bei der Interpretation von Reizen eine wichtige Rolle spielt, wurde stetig aktiver. Daraus schlossen die Forscher, dass der Lernvorgang auf der Ebene der Entscheidungsfindung stattfindet. „Wenn sich unsere Wahrnehmung beim Lernen schärft, dann liegt dies nicht so sehr daran, dass mehr Information das Gehirn erreicht“, folgerte Prof. Haynes. „Stattdessen lernen wir, mit der gegebenen Information immer mehr anzufangen. Wir sehen nach und nach in Bildern Details, die uns zu Beginn nicht bewusst sind.“ Die Forscher untersuchten die Lernvorgänge am Beispiel einfacher geometrischer Skizzen. Im Experiment sahen die zwanzig Testpersonen für kurze Zeit ein kleines Streifenmuster auf einem Bildschirm. Sie sollten entscheiden, in welche Richtung die Streifen zeigten. Im Laufe der Zeit konnten sie dies immer besser erkennen. „Ob ähnliche Effekte auch zum Beispiel für Weinkenner oder Spitzenköche gelten, könnte man auf der Basis unserer Experimente jetzt genauer untersuchen“ sagte Prof. Haynes.
Thorsten Kahnt, Doktorand am Bernstein Center for Computational Neuroscience, entwickelte für diese Studie ein mathematisches Modell, das die Lernvorgänge im Gehirn sehr präzise vorhersagt. „Solche Modelle sind sehr wichtig, um die Daten systematisch erfassen zu können“, sagte der junge Forscher „Die Zusammenarbeit von Modellierung und Datenerhebung funktioniert hier im Bernstein Zentrum besonders gut, weil hier Psychologen, Mediziner, Physiker und Mathematiker zusammenarbeiten.“Literatur: Kahnt et al., Perceptual Learning and Decision-Making in Human Medial Frontal Cortex, Neuron (2011), doi:10.1016/ j.neuron.2011.02.054Quelle: Informationsdienst Wissenschaft (idw)