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Warum das Gehirn bei der Erkennung von Mimik dem Computer (noch) überlegen ist

Im Gegensatz zum Computer verarbeitet unser Gehirn Gesichtsausdrücke (Mimik) unabhängig von der Gesichtsform. So können wir sogar Emotionen von Phantasiefiguren verstehen.

Mimik ist eines unserer wichtigsten Kommunikationssignale. Bei der Deutung von Gesichtsausdrücken machen wir erstaunlich wenig Fehler, selbst wenn unser Gegenüber kein Mensch ist. So erkennen wir sofort, dass z. B. Meister Yoda skeptisch ist – auch wenn wir keine eingefleischten Star Wars-Fans sind und ihn zum ersten Mal sehen. Menschen sind der künstlichen Intelligenz (KI) hier noch weit überlegen, die zwar menschliche Gesichter sehr gut erkennen kann, aber bei Phantasiefiguren kläglich versagt, wenn sie nicht vorher darauf trainiert wurde.

Prof. Dr. Martin Giese und Prof. Dr. Peter Thier vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und dem Zentrum für Integrative Neurowissenschaft der Universität Tübingen haben nun eine mögliche Erklärung dafür gefunden, warum unser Sehsystem hier überlegen ist (siehe Elife, Online-Veröffentlichung a 21.6.2021): Die Form des Kopfes scheint bei der Wahrnehmung von Gesichtsausdrücken keine Rolle für Menschen zu spielen. Im Gegensatz dazu haben KI-Systeme Probleme, Gesichtsausdrücke auf Gesichtsformen zu erkennen, die stark von den vorher trainierten abweichen. Aktuelle Gesichtserkennungsprogramme, wie sie in Sicherheitssystemen oder in der Forensik verwendet werden, können daher Meister Yodas Mimik nicht ohne Weiteres lesen. Der Grund, warum unser Gehirn so gut Gesichtseindrücke deuten kann, liegt möglicherweise in unserer evolutionären Geschichte, wie das Team berichtet.

Für ihre Studie erstellten die Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dreidimensionale computeranimierte Gesichter von Menschen und Affen. „Dabei haben wir Methoden verwendet, die auch bei Hollywood-Filmen wie ‘Avatar‘ oder ‘Herr der Ringe‘ eingesetzt wurden“, erklärt Nick Taubert, Erstautor der Studie. Die Forschenden konnten die Bewegung der Gesichts-Avatare kontrollieren, diese entsprachen der typischen Mimik von Menschen wie auch von Affen beim Ausdruck von „Angst“ und „Ärger“. Der Clou: der Affen-Avatar konnte auch menschliche Gesichtsausdrücke übernehmen und der Mensch-Avatar tierische Mimik zeigen.

Während des Experiments mussten menschliche Probandinnen und Probanden die wahrgenommenen Gesichtsausdrücke einordnen. Das Ergebnis: „Die Mimik wurden bei beiden Gesichts-Avataren gleich gut erkannt. Unsere Probandinnen und Probanden identifizierten die menschlichen Gesichtsausdrücke auf dem Affengesicht sofort“, berichtet Michael Stettler, der die Experimente durchgeführt hat. „Die Affenausdrücke, die sich sehr von den menschlichen unterscheiden, lernten sie wiederum nach wenigen Wiederholungen.“ Die unterschiedliche Gesichtsform des Menschen- und des Affen-Avatars scheint daher für die Erkennung der emotionalen Ausdrücke keine Rolle zu spielen.

Den Grund für dieses Ergebnis vermutet das Forschungsteam in der evolutionären Entwicklung unseres Gehirns. „Die Anatomie der Gesichtsmuskeln hat sich in den letzten 25 Millionen Jahren nur wenig verändert, so dass Affen und Menschen im Prinzip sehr ähnliche Gesichtsbewegungen ausführen können,“ erklärt Studienleiter Giese. „Die menschliche Kopfform weicht dagegen deutlich von der des Affen ab, der Affe hat etwa einen viel größeren Mund. Unser Gehirn könnte sich an diesen Unterschied angepasst haben und deshalb die Mimik unabhängig von der Kopfform verarbeiten.“

Das Forschungsteam will weiter untersuchen, welche Berechnungen das Gehirn bei der Mimik-Erkennung durchführt. „Sobald wir aufgeklärt haben, wie Gesichtsausdrücke unabhängig von der Kopfform verarbeitet werden, könnten wir der KI beibringen, die Mimik von Meister Yoda zu verstehen – auch ohne umfangreiches Training“, erläutert Giese.

Quelle: Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)