Neurologen und Psychiater im Netz

Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen

Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Nächtliche Reinigung des Gehirns sollte nicht gestört werden

© pickks_Fotolia.com

© pickks_Fotolia.com

Wenn der hauptsächlich nachts ablaufende Abtransport von Flüssigkeiten aus dem Hirngewebe (Liquor) verhindert wird, kann es zu neurodegenerativen Erkrankungen des Gehirns kommen.

Das so genannte glymphatische System wurde erst vor rund zehn Jahren von Grundlagenforschern entdeckt und umfasst verschiedene Mechanismen für den Abtransport von Flüssigkeit aus dem Zwischenzellraum des Hirngewebes (Liquor oder „Nervenwasser“) zur Reinigung des Gehirns. Auf der Jahrestagung der European Academy of Neurology (EAN) in Budapest diskutierten Experten jetzt über Möglichkeiten, diesen Abtransport mittels Magnetresonanztomografie abzubilden und so den Einfluss von Störungen des glymphatischen Systems auf Erkrankungen des Gehirns darzustellen.

Im Unterschied zu den meisten anderen Organen besitzt das Gehirn kein klassisches Lymphsystem. was erstaunlich ist, da es eine hohe Stoffwechselaktivität hat, bei der ständig Schadstoffe anfallen, die wieder abtransportiert werden müssen. Dazu gehören beispielsweise die Beta-Amyloide, deren Anhäufung im Zellzwischenraum zum Morbus Alzheimer führt.

Wie Natalie Beschorner aus der Arbeitsgruppe von Nedergaard nun auf der EAN-Tagung erklärte, fließt der Liquor nach dem heutigen Kenntnisstand (evtl. angetrieben durch die Pulsationen der Arterien) durch das Hirngewebe in Richtung der feinsten Venenverästelungen, entlang derer Beta-Amyloide und andere Schadstoffe auf dem Zwischenzellraum entfernt werden.

Dieser Transport erfolgt vor allem nachts, was dem Schlaf eine neue Funktion zur „Reinigung des Gehirns“ gibt und erklären könnte, warum Schlafstörungen ein Risikofaktor für neurodegenerative Erkrankungen des Gehirns sind.

Laut Rolf Fronczek, ebenfalls von der Universität Leiden, gibt es eine Reihe von Krankheiten, an deren Pathogenese das glymphatische System möglicherweise beteiligt ist. So könnte künftig überprüft werden, ob Schlafstörungen das glymphatische System derart beeinträchtigen, dass das Herausfiltern (die so genannte Clearance) von Beta-Amyloiden vermindert wird, was die Entwicklung einer Alzheimer-Erkrankung erklären würde. Gleichermaßen könnte getestet werden, ob die Behandlung von Schlafstörungen das glymphatische System stabilisieren und auf diese Weise die Entwicklung von Alzheimer verhindern könnte.

Quelle: Deutsches Ärzteblatt, online seit 3.7.2023