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Komapatienten: Günstige Prognose bei Gleichtakt der Hirnzellen

© VAlex_Fotolia.com

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Neuronale Synchronität, also ein zeitlich koordiniertes Arbeiten der Nervenzellen am ersten Tag mit Koma ist offenbar für die Vorhersage einer erfolgreichen Erholung nach dem Koma ausschlaggebend.

Neuronale Synchronität, also das zeitlich koordinierte Arbeiten von Nervenzellen im Gehirn, wurde von Forschenden des Inselspitals, der Universität Bern und des Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV) in Lausanne, die die Verarbeitung von Tonsignalen im Gehirn von Patienten am ersten Tag im Koma untersuchten, als ausschlaggebender Faktor für die Vorhersage einer erfolgreichen Erholung nach dem Koma identifiziert (siehe NeuroImage, online am 15.12.2021).

Die Hirnaktivität von Komapatienten auf Intensivstationen, z.B. nach Herzstillstand, wird seit vielen Jahren gezielt in Forschungsprojekten untersucht. Eine der Kernfragen, gilt der Vorhersage des Krankheitsverlaufes nach dem Koma. Aktuelle Ansätze basieren oft auf einer qualitativen Bewertung der Signalaufzeichnungen im Elektroenzephalogramm (EEG). Sie sind relativ langsam, zeitaufwändig und hängen von der vertieften, klinischen Expertise der Fachleute ab. Darüber hinaus unterliegen sie der individuellen Variabilität der beteiligten Expertinnen und Experten. Angesichts der Bedeutung und Häufigkeit des Problems werden weltweit neue Ansätze unter Einbezug von Werkzeugen der Computerwissenschaften untersucht.

In der aktuellen Studie konzentrierte das Schweitzer Forschungsteam sich nun darauf, wie Geräusche im Gehirn am ersten Tag nach Eintreten des Komas verarbeitet werden. Sie untersuchten Messungen der neuronalen Synchronität (synchrones, gleichzeitiges Reagieren der Neuronen auf einen bestimmten Reiz) und der neuronalen Komplexität (der neuronalen Aktivität im Hirn). Die Auswertung der Daten erfolgte mit quantitativen Methoden unter Verwendung von IT bzw. Computerwissenschaften.

Die Studie umfasste zwei Gruppen: 67 Patienten im Koma nach Herzstillstand und 13 gesunde Kontrollpersonen. Eine Reihe reiner Klänge wurde abgespielt und die Gehirnreaktionen wurden in EEG-Signalen aufgezeichnet. Die Studienergebnisse ergaben, dass die neuronale Synchronität Aussagen zu einem günstigen Ausgang nach dem Koma erlaubt. Sigurd Lerkerød Alnes, Erstautor, erklärt: „Wir haben in zwei verschiedenen Patientenkohorten festgestellt, dass Patienten, die später das Koma überlebten, eine höhere neuronale Synchronität als Reaktion auf Geräusche am ersten Tag haben, als die Nicht-Überlebenden. Tatsächlich ist die neuronale Synchronität der Überlebenden auf dem Niveau von gesunden Kontrollpersonen, die bei Bewusstsein sind.“

Vorausgesetzt, dass erweiterte Studien die Ergebnisse dieser Veröffentlichung bestätigen, würde der neue Ansatz eine Reihe von Vorteilen in der klinischen Umsetzung bieten: (a) Er basiert auf einer nur 20-minütigen EEG-Aufzeichnung, die am Krankenbett auf der Intensivstation durchgeführt werden kann. (b) Er arbeitet mit sehr frühen Daten (erster Tag) des Komas und erlaubt eine Prognose für das Ergebnis nach drei Monaten. (c) Er beruht auf Computerwerkzeugen, die die neuronale Synchronität von EEG-Reaktionen quantifizieren und schnelle und von Individuen unabhängige prognostische Informationen liefern.

Aufgrund der Fachliteratur wird erwartet, dass die Vielfalt der neuronalen Aktivität bei Bewusstlosigkeit reduziert wird. Das Gehirn verliert Informationsgehalt, die Komplexität seiner Aktivität nimmt ab. Dieser Effekt wurde in der Studie nur für die Gruppe der Überlebenden gefunden. In der Gruppe der Nicht-Überlebenden lag die Komplexität in einem weiten Bereich, teils unter und teils über den Komplexitätswerten gesunder und bewusster Kontrollpersonen. Prof. Dr. Athina Tzovara erklärt: „In unserer Studie haben wir uns auf einen bestimmten Fall von Bewusstlosigkeit konzentriert – den ersten Tag nach Einsetzen des Komas. In den ersten Stunden, nachdem Patienten einen Herzstillstand erlitten haben, erfahren ihre Elektrophysiologie und ihr Stoffwechsel dramatische Veränderungen. Ihren Gehirnreaktionen fehlt es an Struktur, was zu spontanem Rauschen der neuronalen Aktivität führt.“

Die Ergebnisse dieser Studie sind ermutigend. Sie müssen jetzt mit weiteren Untersuchungen in größeren Gruppen und in zusätzlichen medizinischen Zentren validiert werden. Prof. Dr. Athina Tzovara skizziert die weiteren Schritte: „Unsere Gruppe ist angesiedelt zwischen NeuroTec, der interdisziplinären Plattform des Departements für Neurologie mit Fokus auf translationale Forschung und dem Institut für Informatik der Universität Bern. Unsere Arbeit hat zum Ziel, computergestützte Methoden in die klinische Routine einzubringen, um die klinische Entscheidungsfindung zu unterstützen. Wir müssen nun diese ersten Ergebnisse in größeren Patientenkohorten und zusätzlichen Spitälern validieren, bevor wir ihren Einsatz auf der Intensivstation in Angriff nehmen können.“

Quelle: Universität Bern