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Immunzell-Aktivierung im Darm könnte eine Ursache von MS sein

© Tatiana Shepeleva_Fotolia.com

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Bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS) werden offenbar in einem bestimmten Bereich des Darmtrakts autoaggressive T-Zellen aktiviert – und zwar in Abhängigkeit von der Darmflora.

Multiple Sklerose (MS) ist eine entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Ausgelöst wird sie durch bestimmte Immunabwehrzellen (T-Zellen), die in Gehirn und Rückenmark eindringen und die isolierenden Myelinscheiden um Nervenzellen angreifen. In den letzten Jahren fanden Forschende zunehmend Hinweise, dass die Darmflora (Darm-Mikrobiom) bei der Aktivierung dieser Zellen eine wesentliche Rolle spielt. Der genaue Ort und die zugrundeliegenden Mechanismen blieben jedoch unklar. Einem Team um Privatdozent Dr. Naoto Kawakami vom LMU Klinikum ist es nun mithilfe bildgebender Verfahren erstmals gelungen, die Aktivierung der Zellen in Abhängigkeit vom Mikrobiom im Mausmodell live zu verfolgen (siehe PNAS, online seit 25.7.2023).

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verwendeten für ihre Studie einen anspruchsvollen Ansatz, mit dem sie die Beweglichkeit und die Aktivierung bestimmter T-Zellen mithilfe von Zwei-Photonen-Bildgebung live sichtbar machten. Dabei werden mit einem Sensorprotein Änderungen der zellulären Calciumkonzentration erfasst, was Rückschlüsse auf die Aktivität der T-Zellen ermöglicht. Die untersuchten sogenannten enzephalitogenen T-Zellen – also T-Zellen, die im Gehirn Entzündungen verursachen können – richten sich spezifisch gegen ein Protein in der Myelinhülle von Nervenzellen und spielen bei der Entstehung von Multipler Sklerose eine zentrale Rolle.

Wie die Forschenden zeigen konnten, erfolgt die dafür notwendige Aktivierung dieser Zellen in sogenanntem darmassoziiertem lymphatischem Gewebe (GALT), das sich in der Schleimhaut des Darms befindet – genauer: in einer Bindegewebsschicht des Dünndarms (Lamina propria). Allerdings nur, wenn die untersuchten Mäuse ein intaktes Darmmikrobiom besaßen. War der Darm dagegen keimfrei, blieb die Aktivierung aus. Die Wissenschaftler vermuten, dass das Mikrobiom Moleküle produziert, die von den jeweiligen Rezeptoren der T-Zellen erkannt werden und die Zellen so aktivieren.

In den enzephalitogenen T-Zellen werden durch die Aktivierung bestimmte Gene angeschaltet, durch die sie sich zu sogenannten Th17-Zellen differenzieren, wie die Forschenden nachweisen konnten. Durch diese Differenzierung entwickeln die Zellen die Eigenschaften, die es ihnen ermöglichen, in das Zentralnervensystem einzuwandern und Entzündungen auszulösen. „Unsere Ergebnisse leisten einen wichtigen Beitrag, um die Entstehung von Multipler Sklerose besser zu verstehen, und eröffnen langfristig möglicherweise neue Therapieoptionen“, betont Kawakami.

Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München