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Sexueller Missbrauch: Eltern sollten Klärung einer Verdachtssituation stets Fachleuten überlassen

Sexueller Missbrauch von Kindern bezeichnet willentliche sexuelle Handlungen mit, an oder vor Kindern. Er kann von Erwachsenen aber auch von gleichaltrigen Kindern oder Geschwistern ausgehen.

Haben Eltern den Verdacht, ihr Kind könnte das Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden sein, sollten sie dem Kind keinerlei Fragen dazu stellen, sondern ihm nur zuhören was es spontan erzählt. Auch sollte kein Elternteil den potentiellen Täter mit dem Verdacht konfrontieren. Es ist in so einer Situation besonders wichtig, nicht vorschnell zu handeln, sondern sich zunächst mit der Unterstützung durch Fachleute zu informieren und zu orientieren. „Eltern sollten dem betroffenen Kind keine Fragen stellen, da dies bei einer möglichen Glaubwürdigkeitsbegutachtung als Suggestion ausgelegt werden könnte. Dies könnte die Aussage des Kindes in seiner Glaubwürdigkeit abwerten und eine Verurteilung des Täters gefährden“, warnt Dr. Jürg Unger-Köppel von der Schweizerischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (SGKJPP) mit Sitz in Bern. „Eltern sollten sich zeitnah an eine Fachstelle wie beispielsweise eine Kinderschutzgruppe oder Opferberatungsstelle eines Spitals wenden. Fachleute dieser Einrichtungen sind in der Lage, die verschiedenen Facetten einer individuellen Misshandlungs-Situation zu erfassen und unter Berücksichtigung des Kindswohls entsprechend zu reagieren.“ Auch wenn es sehr unangenehm ist, sollte das Kind unmittelbar nach dem Übergriff nicht gewaschen werden und es sollte möglichst die Kleidung nicht wechseln, um wichtiges Beweismaterial nicht zu vernichten. Auch Taschentücher oder ähnliches sollten nicht weggeworfen werden, wenn sie mit dem Täter oder seinen Spuren in Berührung gekommen sind. Man sollte das Kind vielmehr unmittelbar zur Polizei oder zu einer für solche Situationen spezialisierte kindergynäkologische Untersuchung bringen.

Mögliche Anzeichen für sexuelle Übergriffe richtig deuten
Viele betroffene Kinder schweigen nach sexuellen Übergriffen aus Schamgefühl oder weil sie bedroht und mitunter erpresst werden. Eine Verhaltensänderung tritt jedoch bei vielen Kindern auf, wobei die Palette der möglichen Anzeichen für sexuellen Missbrauch gross ist. Für Eltern ist es meist schwierig, Symptome richtig einzuordnen. „Manche Kinder berichten, dass ihnen etwas Unrechtes geschehen ist, erzählen dabei aber nicht worum genau es geht. Hinweis auf Missbrauch kann auch eine plötzliche Verhaltensänderung sein, die nicht durch ein bekanntes Ereignis erklärt werden kann. Ebenso besteht ein Verdachtsmoment, wenn sexualisiertes Verhalten auftritt – etwa wenn ein Kind nicht altersgemässe sexuelle Handlungen ausführt“, berichtet der Experte. „Psychosomatische Symptome können sehr vielfältig sein und beispielsweise in Form von sich wiederholenden Bauchschmerzen bis hin zum psychisch bedingten Bewusstseinsverlust auftreten.“ In all diesen Fällen benötigen die Kinder eine geduldige Begleitung durch ihre nahe stehenden Vertrauenspersonen, da sie diesen in der Regel am ehesten Geheimnisse erzählen. Die Vertrauenspersonen sollten in enger Abstimmung mit den Fachleuten zusammenarbeiten. Im Rahmen gemeinsamer „Helfersitzungen“ können sich dann Fakten aus einzelnen Verdachtsmomenten herauskristallisieren oder auch ein Verdacht wieder fallen gelassen werden.

Therapie bei Kindern und deren Eltern möglich

Solange nur ein Verdacht auf Missbrauch besteht und unklar ist, was zwischen Opfer und Täter abgelaufen ist oder abläuft, ist eine Therapie für das Kind nicht indiziert. Sie kann erst erfolgreich sein, wenn die Misshandlung sicher beendet ist und dadurch die Chance auf Besserung des Befindens gegeben ist. „Nicht alle Opfer zeigen Symptome, nicht jedes Kind, das sexuelle Übergriffe erlebt hat, benötigt eine Therapie. Dazu tragen auch protektive Effekte bei: Kinder, die eine gute tragfähige Beziehung zu nahe stehenden Erwachsenen haben, mit denen sie über ihre Erlebnisse sprechen können benötigen oft keine Therapie, wenn der Übergriff als leichter eingestuft wird. Erscheint eine Psychotherapie als notwendig, können verschiedene Formen eingesetzt werden“, ergänzt der Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeut.

Wurde ein Kind Opfer einer sexuellen Misshandlung durch einen Täter oder eine Täterin ausserhalb der Kernfamilie, kann das für Eltern eine grosse Belastung darstellen. „Viele Eltern wissen nichts von den Übergriffen auf ihre Kinder und erwachen sehr plötzlich und sehr schmerzhaft, wenn sie es erfahren. Eltern werden in so einer Situation oft von Wut, Hilflosigkeit und Scham geplagt und erleben das Gefühl eines Kontrollverlustes. Sie sollten nicht zögern, auch für sich selbst Hilfe zu holen, wenn sie unter den Ereignissen leiden“, rät Dr. Jürg Unger-Köppel.

 

Website der Schweizerischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (SGKJPP): www.sgkjpp.ch

 

Quellen:
Kinderschutz – Praktische Ideen
Kinderschutz in der deutschen Schweiz
Dr. med. Jürg Unger-Köppel
Chefarzt KJPD Aargau (2013)

www.pdag.ch/fileadmin/customer/Dokumente/Kinderschutzpapier_2013.pdf

 

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