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Bei Selbstverletzung Kindern mit respektvoller Neugier begegnen

Werden Eltern mit Selbstverletzungen bei ihren Kindern konfrontiert, sollten sie möglichst nicht schockiert und vorwurfsvoll reagieren oder dem Betroffenen Vorhaltungen machen. Gut ist es, dem Kind mitfühlend und ruhig zu begegnen und im Weiteren die Hintergründe dieses Verhaltens zu verstehen.

Für Eltern und Angehörige ist der Umgang mit nicht-suizidalem selbstverletzendem Verhalten (NSSV) häufig schwierig und es fällt zunächst schwer, Verständnis für diese Handlungen aufzubringen. Werden Eltern mit Selbstverletzungen bei ihren Kindern konfrontiert, sollten sie möglichst nicht schockiert und vorwurfsvoll reagieren oder dem Betroffenen Vorhaltungen machen. Gut ist es, dem Kind mitfühlend und ruhig zu begegnen und im Weiteren die Hintergründe dieses Verhaltens zu verstehen. „Für die betroffenen Kinder können Verbote oder Vorwürfe die Situation noch verschlimmern. Oft erleben sie starke negative emotionale Zustände, wie etwa Schuld- und Schamgefühle und haben aktuell keine anderen Möglichkeiten, mit ihren Gefühlen oder Nöten umzugehen“, berichtet Dr. Paul Plener von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) mit Sitz in Berlin. „Wenn nun eine zusätzliche Krise entsteht, die Eltern dem Kind ein Ultimatum stellen oder es gar abweisen, wird der Druck der Betroffenen noch größer und die Situation kann sich verschlimmern. Auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Therapie kann dadurch erheblich erschwert werden.“

Eltern sollten zeigen, dass sie ihr Kind ernst nehmen, sich um es sorgen und ihm helfen möchten. Sie sollten sich zunächst gut über die Thematik informieren und können auch selbst Hilfsangebote nutzen, die ihnen den Umgang mit der Situation erleichtern. „Wenn Eltern einen Verdacht haben, dass sich ihr Kind selbst verletzt, sollten sie möglichst zeitnah einen Kinder- und Jugendpsychiater oder -psychotherapeuten aufsuchen, um sicherzugehen, dass ihr Kind rasch Hilfe erhält. Auch Beratungsstellen können erste Ansprechpartner sein“, rät Dr. Plener, Leitender Oberarzt der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Ulm. „Professionelle Unterstützung kann auch den Eltern dabei helfen, dass sie sich weniger überfordert und hilflos mit der Situation fühlen, was oft der Fall ist.“

Grundsätzlich ist es wichtig, vor dem selbstverletzenden Verhalten und auch dessen Ursachen nicht die Augen zu verschließen. Dieses Verhalten ist ein ernst zu nehmendes Warnsignal und oft Ausdruck einer ausgeprägten seelischen Belastung und Not. „Für die Betroffenen ist die Selbstverletzung meist ein Mittel, ihrem inneren Druck oder schmerzhaft erlebten Gefühlen zu begegnen. Mit jeder Selbstverletzung empfinden Betroffene Erleichterung und beenden zumindest kurzfristig unangenehme Gefühlszustände“, erklärt der Experte. „Die Erleichterung hält in der Regel allerdings nur kurz an. Entsprechend können die Zyklen zwischen den Selbstverletzungen immer kürzer werden, sodass es zu einer Zunahme an Schwere und Häufigkeit der Selbstverletzungen kommen kann.“ Zunächst ist es dann wichtig, die Ursachen abzuklären, auch weil Selbstverletzung ein Symptom zugrundeliegender psychischer Störungen oder Erkrankungen, wie Depressionen, Ess-, Zwangs- oder Angststörungen sein kann.

Für die professionelle Therapie durch einen Kinder- und Jugendpsychiater oder -psychotherapeuten stehen mehrere Möglichkeiten bzw. therapeutische Verfahren zur Verfügung. Sie werden abhängig von einer möglichen Grunderkrankung oder Störungen gestaltet. „Als wirksam haben sich Konzepte aus der kognitiven Verhaltenstherapie erwiesen, die Betroffene dabei unterstützt, neue konstruktivere Bewältigungsstrategien auf belastende Situationen und Ereignisse zu entwickeln sowie Auslösesituationen zu identifizieren“, ergänzt Dr. Plener. „Hierfür ist auch das Erlernen von Entspannungstechniken oder auch Achtsamkeitsübungen hilfreich.“ Die Psychotherapie kann gegebenenfalls durch eine medikamentöse Behandlung einer psychischen Grunderkrankung unterstützt werden, etwa wenn stark depressive oder zwanghafte Merkmale oder eine Angsterkrankung vorliegen. „Entscheidend für den Therapieerfolg ist die Motivation des Jugendlichen, sein Verhalten zu ändern. Eine Therapie gegen den Willen des Jugendlichen ist nicht zielführend“, betont der Kinder- und Jugendpsychiater.

Unter NSSV versteht man die bewusste, freiwillige und direkte Zerstörung von Körpergewebe, wobei keine suizidale Absicht besteht. Das Risiko für einen Suizidversuch steigt jedoch bei wiederholtem selbstverletzendem Verhalten. Die häufigsten NSVV-Formen sind das Zufügen von Schnittverletzungen vorwiegend an Armen und Beinen sowie im Bereich von Brust und Bauch. Aber auch Verbrennung oder Verätzungen können vorkommen. Selbstverletzungen nehmen besonders ab dem 12. und 13. Lebensjahr zu. NSSV ist in Deutschland kein seltenes Phänomen. „Befragt man 15-jährige, so geben etwa ein Viertel der Jugendlichen an, es zumindest einmalig versucht zu haben, etwa jeder siebente Jugendliche innerhalb des vergangenen Jahres. In jeder durchschnittlich großen Schulklasse sitzt statistisch betrachtet mindestens ein Jugendlicher mit aktuellem wiederholten selbstverletzenden Verhalten“, so Plener.

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