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Bei Rechenschwäche nicht stur üben, sondern Verständnis für Zahlen fördern

Kindern mit Rechenschwäche fehlt das Abstraktionsvermögen für Zahlen. Um es ihnen zu vermitteln, können Eltern aus alltäglichen Zusammenhängen Rechenaufgaben konstruieren.

Für Kinder, die erhebliche Schwierigkeiten im Umgang mit Zahlen haben, sollten die Rechenschritte mit Gegenständen oder den Fingern anschaulich gemacht werden. „Schülern mit einer Rechenschwäche fehlt das Vorstellungsvermögen für Zahlen. Deswegen hilft stereotypes Üben der vorgegebenen Aufgaben nicht – im Gegenteil: Es kann sogar psychische Probleme verursachen oder vorhandene verstärken. Um das Verständnis für Zahlen zu vermitteln, ist es am besten, die Rechenaufgaben mit alltäglichen Gegenständen anschaulich zu machen“, erklärt Prof. Gerd Schulte-Körne von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) in Berlin. „Wie man eine Zahl durch eine andere teilt, wird verständlich, indem man beispielsweise beim gemeinsamen Essen das Kind die Kartoffeln verteilen lässt.“ Zunächst sollten die Eltern dem Kind den Zahlenraum von 1 bis 10 mit leichten Aufgaben nahe bringen. „Dabei dürfen die Finger durchaus zu Hilfe genommen werden. Entscheidend ist, dass dabei das grundlegende Verständnis für Zahlen und Mengen entsteht“, so Prof. Schulte-Körne, der die Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Klinikum der Universität München leitet. Beherrscht das Kind die Zahlen bis 10, dann sollte man sich dem Zehnerübergang widmen, der meist besondere Probleme bereitet.

Rechenschwäche beruht in erster Linie darauf, dass den betroffenen Kindern ein Mengenverständnis fehlt und die Orientierung im Zahlenraum deutlich erschwert ist. Hinzu kommt, dass sie abstrakte Begriffe wie „Zahl“ und „Rechnen“ nicht verstehen. Es gelingt ihnen beispielsweise nicht, eine Textaufgabe in eine Rechenaufgabe umzusetzen. Bei vorgelegten Rechenaufgaben wiederum verwechseln sie Addieren mit Subtrahieren oder Multiplizieren. Ihr fehlendes Verständnis wird anfangs kaum bemerkt, da sie Ergebnisse auswendig lernen, Eselsbrücken bauen oder die Aufgaben nur durch Abzählen lösen. Das fortgesetzte Zählen ist jedoch keine Lösung, denn es führt bei höheren Zahlen oder komplexeren Rechnungen unweigerlich zu falschen Lösungen und trägt vor allem nicht zum Verständnis der Rechenoperationen bei. „Rechenschwache Schüler sind normal begabt, werden aber nicht selten wegen ihrer Schwäche als dumm oder unwillig eingeschätzt. Umso größer ist ihre Unzufriedenheit mit der schulischen Situation, die dann das Selbstvertrauen weiter senkt. Die betroffenen Kinder geraten in einen Teufelskreis und können eine Schulangst mit körperlichen Beschwerden wie Bauchweh entwickeln“, warnt Prof. Schulte-Körne.

Schätzungsweise 5 bis 6% aller Schüler leiden unter einer Rechenschwäche. Dabei wird die Entwicklungsstörung oft zu spät, meist erst im 3. oder 4. Schuljahr festgestellt. Das liegt einerseits daran, dass mit der Hoffnung, „der Knoten werde noch platzen“, die Eltern vertröstet werden. Andererseits bekommt ein Teil der Kinder erst bei komplexen Aufgaben Probleme. Um die Schwierigkeiten so früh wie möglich zu erkennen, sollten Eltern und Pädagogen auf eine Reihe möglicher, häufiger Auffälligkeiten achten. Eine Rechenschwäche geht oft einher mit einer mangelhaften räumlichen Vorstellung, d.h. die Kinder verwechseln oben und unten, oder vorne und hinten. Auch mit Zeiteinheiten, Geldmengen, Maßen und Gewichten können viele Betroffene nicht richtig umgehen, und sie bringen vergleichende Angaben wie „mehr“ und „weniger“ oder „doppelt“ und „halb so viel“ durcheinander. Wenn Eltern diese Probleme beobachten, sollten sie sich Rat bei einem Kinder- und Jugendpsychiater holen. Sonst besteht die Gefahr, dass die Probleme zunehmen und die gesamte schulische und emotionale Entwicklung gefährdet ist.