Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen
Herausgegeben von Berufsverbänden und Fachgesellschaften für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland und der Schweiz.
Schulphobie ist ein Vermeidungsverhalten ohne direkten Bezug zur Schulsituation. Hier spielt vielmehr Trennungsangst die zentrale Rolle, also eine extreme Angst vor einer Trennung von der Bezugsperson. Zwei Drittel der Kinder, die an einer vom Arzt diagnostizierten emotionalen Störung mit Trennungsangst leiden, verweigern den Schulbesuch. In der Regel geschieht dies im Wissen der Eltern (bzw. der Bezugsperson).
Schulphobische Kinder sind den Leistungsanforderungen in der Schule in der Regel gewachsen, ihre Intelligenz ist normal. Sie machen gewissenhaft ihre Hausaufgaben, bereiten sich auf Prüfungen vor, packen ihre Schultasche etc.. Doch auf dem Weg zur Schule kehren sie plötzlich wieder nach Hause um. Oder sie verlassen das Haus von vorneherein nicht, weil sie sich unwohl fühlen, da sie jede Art von Trennung von ihren primären Bezugspersonen als bedrohlich erleben.
Häufig treten heftige psychosomatische Beschwerden (Bauchschmerzen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Kreislaufschwäche) auf, wenn eine Trennung von der Bezugsperson bevorsteht. Diese sind aber oft umgehend wieder vorbei, wenn die betroffenen Kinder bei ihrer Bezugsperson bleiben können. Häufig befürchten sie, dass dieser etwas zustoßen könnte. Ihre Angst vor Krankheit, Sterben und Tod ist generell stark ausgeprägt, und sie haben häufig Alpträume von Trennungssituationen.
Die Persönlichkeit von Kindern mit Trennungsangst wird oft als ängstlich, empfindsam und depressiv beschrieben. Sie versuchen zu vermeiden, tagsüber auch nur kurzzeitig allein gelassen zu werden, oder abends alleine ohne Licht einschlafen zu müssen. Sie wirken schüchtern, zurückgezogen und haben oft auch soziale Ängste gegenüber anderen Kindern. Gleichzeitig können sie gegenüber ihren Eltern zum Teil sehr fordernd und manchmal auch aggressiv auftreten, da die überstarke und enge Bindung an die Bezugspersonen zum einen Schutz bietet, aber gleichzeitig auch als sehr beengend erlebt werden kann.
Meistens liegen problematische Familienkonstellationen oder traumatische, unverarbeitete Trennungserlebnisse, Verluste und Enttäuschungen vor. Aber auch eine sehr enge und gleichzeitig unsichere Bindung an eine Bezugsperson kann zu panischer Trennungsangst führen. Wenn ein Kind noch keine emotionale Selbstständigkeit entwickelt hat, ist es auch noch nicht bereit, sich von seiner primären Bezugsperson zu lösen. In der Schule muss es das aber. Es fühlt sich hilflos, ohne Orientierung. Aus diesem Verlust an Geborgenheit kann Angst entstehen.
Häufig gibt es unter schulphobischen Kindern solche, die von ihren Eltern sehr innig beschützt und verwöhnt (überbehütet) werden. Oder aber es handelt sich um Kinder, die sich Sorgen um ihre (problembeladenen, einsamen oder kranken) Eltern machen, und die in ihrer Familie eine unangemessen große Verantwortung übernehmen, wobei sie neben den Eltern evtl. auch noch Geschwister zu versorgen haben. Oder aber das Kind wird durch die unkontrollierbaren Ängste und Sorgen seiner Eltern überfordert. In manchen Fällen leidet eigentlich die Mutter an einer Trennungsangst, die sich dann in Form einer Schulphobie bei ihrem Kind bemerkbar macht.
Den Eltern von schulphobischen Kindern wird dringend eine kinder- und jugendpsychiatrische Abklärung und - bei positivem Befund - eine therapeutische Bearbeitung angeraten.
Als Sofortmaßnahme muss ein regelmäßiger Schulbesuch des Kindes erreicht werden. Dazu ist es dringend erforderlich, die Eltern in ihrem Erziehungsverhalten zu unterstützen und ihnen die Sicherheit zu vermitteln, dass tatsächlich nichts Schlimmes passieren kann, wenn sie ihre Kinder trotz Zeichen von Unwohlsein in die Schule schicken. Wenn von Seiten der Eltern ängstliche Signale in Trennungssituationen ausgesandt werden, erschwert dies ihren Kindern die Überwindung eigener Ängste.
Eltern sollten Therapiemaßnahmen unterstützen und möglichst nicht abschwächen, indem sie die folgenden Punkte beherzigen:
Auch Lehrer sollten sich nicht von schulphobischen Kindern (oder deren Müttern) zu Sonderregelungen überreden lassen, die der Förderung von Selbstwirksamkeitserfahrungen oder einer laufenden Familientherapie nicht zuträglich sind. Die betroffenen Kinder, Eltern und Lehrer sowie weitere Beteiligte (Schulpsychologen, Sozialpädagogen, Jugendamtsmitarbeiter, behandelnde Ärzte etc.) sollten die Gesamtheit der Maßnahmen immer als einen gemeinsamen „Win-Win-Prozess“ ansehen und sie daher in gegenseitiger Übereinstimmung und ohne Ausnahmen berücksichtigen.
In hartnäckigen Fällen kann die ambulante Behandlung einer Schulphobie nicht ausreichend wirksam sein. Dann ist eine stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung indiziert. Dabei kann die grundlegende Angst, dass eine Trennung nicht überlebbar ist, letztendlich dadurch korrigiert werden, dass das Kind im Schutz eines therapeutischen Milieus die konkrete Erfahrung einer Trennung von den Bezugspersonen macht und dabei erlebt, dass diese Trennung sehr wohl zu überleben ist.