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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Ursachen, Anzeichen und Behandlungsmöglichkeiten bei Schulangst

Die alltägliche Schulsituation kann für manche Kinder mit großer Angst besetzt sein: Entweder aus Leistungsangst, also der Sorge vor unerfüllbaren Leistungsanforderungen. Oder aber aus sozialer Angst (soziale Phobie), die mit Scheuheit im Sozialkontakt zum Beispiel mit Mitschülern oder Lehrern einhergeht. Wenn  die tägliche Schulpflicht psychische und psychosomatische Reaktionen (z.B. Kopf- oder Bauchschmerzen) hervorruft, spricht man von Schulangst. Jeder fünfte Schüler in Deutschland soll unter Schulangst leiden. Dabei sind Mädchen offenbar öfter betroffen als Jungen.

 

Anzeichen für Leistungsangst

Vor Leistungsanforderungen zeigen betroffene Kinder eine ausgeprägte Prüfungs- und Versagensangst: Bereits lange vor einer anstehenden Prüfung sind sie aufgeregt, machen sich große Sorgen und neigen zu extrem pessimistischen Annahmen („Ich werde nicht bestehen, werde mich blamieren, werde hart bestraft werden...“). Dabei bereitet den Kindern weniger die Prüfungssituation an sich Angst, sondern vielmehr ihre gedankliche Vorstellung von einem drohenden Misserfolg. Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, eine besorgte und bedrückte Stimmung dominieren.

Typische körperliche (bzw. psychosomatische) Anzeichen sind Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall am Morgen des Prüfungstages, Kopfschmerzen, Schweißausbrüche, Zittern, Harndrang, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Häufige Verhaltensanzeichen sind sozialer Rückzug und Vermeidungsverhalten, Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsfehler, Tagträumen, Trödeln.

Anzeichen für soziale Angst

Betroffene Kinder haben große Angst, sich zu blamieren oder in peinliche Situationen zu geraten. Sie fürchten die Bewertung durch andere Menschen und fühlen sich massiver Beobachtung ausgesetzt. Körperliche bzw. psychosomatische Beschwerden treten ähnlich wie bei der Leistungsangst auf. Verhaltensanzeichen sind eine ausgeprägte Verlegenheit, Scham und Publikumsangst.

Im Umgang mit anderen Menschen geben sozial verängstigte Kinder sich extrem schüchtern. Oft vermeiden sie beim Sprechen Blickkontakt. Gelegentlich kommt es in sozialen Situationen auch zu unmotiviertem Weinen, Schreien oder Verstecken. Im Unterricht sind sie auffallend ruhig, sprechen nur, wenn sie dazu aufgefordert werden, und dann oft sehr leise, undeutlich oder leicht stotternd. Sie meiden außerschulische soziale Aktivitäten und gehen lieber „einsamen“ Hobbys nach, in denen es zu keinen sozialen Interaktionen kommt. Ihre Angst vor Ablehnung und Spott führt zu großer Selbstunsicherheit. Gleichzeitig sehnen sie sich nach Bestätigung von anderen.

Ursachen für Leistungsangst

Der charakteristische Auslöser für Leistungsangst ist schulische Überforderung, zum Beispiel aufgrund nicht aufgeholter Wissenslücken, wie sie nach einem Schulwechsel oder nach längerer Krankheit, durch die Wahl eines ungeeigneten Schultyps oder bei zu hohem Leistungsdruck entstehen können. Auch individuelle Lernschwierigkeiten können zu Prüfungs- und Versagensangst führen. Hierzu zählen Teilleistungsschwächen (Lese-Rechtschreibstörung, Rechenschwäche) sowie Lernstörungen im Rahmen einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS). Möglicherweise liegt es aber auch an einer falsch organisierten, zu späten oder ungenügenden Prüfungsvorbereitung, die dem Kind (begründete) Angst macht.

Ursachen für Leistungsangst können auch im familiären Umfeld wurzeln. Manchmal liegen die Erwartungen der Eltern so hoch, dass ihr Kind sie beim besten Willen nicht erfüllen kann. Oder ein Elternteil hat bereits selbst an Schulangst gelitten und überträgt nun seine Ängste auf das Kind. Auch ein stark einschränkender Erziehungsstil mit häufigen Zurechtweisungen, Androhung von Strafen und ständigen Verweisen auf die besseren Leistungen eines Geschwisters kann Schulangst erzeugen.

In der Schule kann es Lehrer geben, die eine für das individuelle Kind unangepasste Didaktik praktizieren und nach Prüfungen Rückmeldungen geben, die von dem Kind als negativ, entmutigend oder sogar demütigend und kränkend erlebt werden. Dabei können auch persönliche, teils verdrängte Beziehungskonflikte zwischen Schüler und Lehrer eine Rolle spielen. Wird der Schüler daraufhin auch noch von seinen Mitschülern gehänselt dreht sich die negative Spirale weiter: Zur Leistungsangst treten soziale Ängste hinzu.

Ursachen für soziale Angst

Charakteristisch für sozial ängstliche Kinder und Jugendliche ist oft ein niedriges Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik. Sozial ängstliche Kinder haben ein erhöhtes Risiko, sich nicht adäquat gegen Mobbing, Spott oder körperlicher Gewalt durch Mitschüler oder auch Lehrer in einem unter Umständen unsozialen Klassen- und Schulklima zur Wehr setzen zu können. Die Vielzahl möglicher Faktoren ist groß.

Auch bereits auf dem Schulweg können wiederholt belastende Ereignisse zu Schulangst führen - wie zum Beispiel eine Unverträglichkeit des Kindes beim Busfahren (Scham, sich im Bus übergeben zu müssen und den Ekel anderer zu erregen), Konfrontation mit aggressiven Mitschülern o.Ä..

Behandlungsmöglichkeiten bei Schulangst

Schulangst ist eine Angststörung, die im schulischen Kontext entsteht und dort auch wieder abgebaut werden muss. Um Ängste im schulischen Umfeld zu bekämpfen, ist ein gezieltes Zusammenarbeiten aller Beteiligten (Eltern, Lehrer, Kinder, Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeuten, Schulpsychologen, Sozialpädagogen) wünschenswert (Lehmkuhl und Lehmkuhl, 2004).

Meistens gehen die betroffenen Kinder im Wissen ihrer Eltern nicht zur Schule. Eltern haben oft Mitleid mit ihren verängstigten Kindern und wollen ihnen mit dem Schreiben von Entschuldigungen etwas Gutes tun. Mit dem Fernbleiben von der Schule unterstützen sie aber gleichzeitig das Vermeidungsverhalten ihrer Kinder und verstärken so nur den Teufelskreis. Besser helfen sie ihnen von der Schulangst loszukommen, mit Trösten (keine Beschimpfungen!), Ermutigung durch Lob und Annahme (sozial ängstliche Kinder haben große Angst vor Liebesentzug!) und viel Geduld. Um das persönliche Selbstbewusstsein des Kindes zu stärken, sollten Erfolgserlebnisse geschaffen werden - zum Beispiel, indem man dem Kind Aufgaben gibt, die es gut bewältigen kann.

Behandlungsmöglichkeiten bei Leistungsangst

Um eine schulische Überforderung ausschließen zu können, ist eine Leistungs- und Intelligenzdiagnostik anzuraten. Eine solche Untersuchung kann beim Kinder- und Jugendpsychiater oder Schulpsychologen erfolgen, der auch die Lerntechniken des Schülers überprüfen und geeignete Lehrpläne erstellen kann.

Bei Leistungsüberforderung in der Grundschule sollten gezielte Fördermaßnahmen (Förderunterricht, Nachhilfe) eingesetzt werden, wobei notfalls auch sonderpädagogische Förderung in Betracht zu ziehen ist. Wenn nach einem Schulwechsel oder Übergang in eine weiterführende Schule die Leistungsanforderungen nicht dem Leistungsniveau des Schülers entsprechen, muss ein erneuter Schul- oder Klassenwechsel angedacht werden. Kein Schüler sollte unter Druck in einer unangemessenen Leistungsgruppe verbleiben müssen.

Auch die jeweilige Unterrichtsmethodik an der Schule sollte passen. Lehrer sollten sich darum bemühen, eine angenehme Lernatmosphäre zu schaffen. Eine verständnis- und rücksichtsvolle Behandlung der unter Leistungsangst stehenden Schüler – zum Beispiel durch gelegentliches Beruhigen, individuelles Anleiten, Ermuntern - kann viel ausmachen.

Bei hartnäckiger Schulangst mit Lernblockaden und Prüfungsängsten (ohne dass tatsächlich eine Überforderung vorliegt) kann eine so genannte kognitive Verhaltenstherapie durch den Facharzt wirksam helfen. In einer solchen therapeutischen Begleitung werden Techniken wie Selbstverbalisation („Ich muss eins nach dem anderen machen, dann schaffe ich es auch“), Rollenspiele, Ankern (Verankern von Zuversicht), oder Gedankenstopp in Verbindung mit Entspannungstechniken (z.B. Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen) sowie die Bearbeitung von verzerrten Denkmustern („Ich mache immer alles falsch“) durchgeführt.

Grundsätzlich müssen Kinder lernen, Ängste und angstauslösende Situationen zu bewältigen und Angst bis zu einem bestimmten Ausmaß als normalen Teil des Lebens zu tolerieren. Deshalb sollten Eltern einem ängstlichen Kind – bis auf Ausnahmefälle - keine Medikamente zur Beruhigung verabreichen; auch keine Mittel wie Baldriantropfen oder Globuli.

Behandlungsmöglichkeiten bei sozialer Angst

Eltern, Freunde und Lehrer können viel dazu beitragen, die Bewältigungskompetenz eines Kindes zu stärken. Sie sollten vermeiden helfen, dass ein Kind wegen seiner Schüchternheit in den Mittelpunkt gestellt und vor anderen blamiert wird. Durch positive soziale Erfahrungen lässt sich Schüchternheit schrittweise und behutsam abbauen.

In hartnäckigen Fällen ist eine Untersuchung durch einen Facharzt angezeigt, der zum Beispiel eine Angstanamnese (biografische Ursachenforschung) oder eine angstspezifische Diagnostik mithilfe von Fragebögen durchführen wird. Zur Förderung von Selbstwert, Kontaktfähigkeit, sozialen Kompetenzen und der Frustrationstoleranz kann eine kognitive Verhaltenstherapie oder ein Soziales-Kompetenz-Training empfohlen werden.

Stress- und Konfliktbewältigungstrainings werden für Lehrer und Schüler angeboten, um das Schulklima zu verbessern und ein soziales, Mobbing- und gewaltfreies Klassenmilieu in der Schule zu schaffen. Zur Konfliktklärung sollten Gespräche mit allen Beteiligten geführt werden. Zudem können Lehrer sich präventive und angstreduzierende Techniken und Strategien zur Unterrichtsgestaltung in Fortbildungen aneignen. Auch für interessierte Eltern werden spezielle Informations- und Trainingskurse angeboten.

Bei älteren Jugendlichen, die unter hartnäckigen Ängsten im Sinne einer sozialen Phobie leiden, kann eine psychotherapeutische Behandlung im Rahmen eines individuellen Heilversuchs auch mit einer medikamentösen Behandlung mit einem so genannten Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer kombiniert werden.

Fachliche Unterstützung: Prof. Dr. med. Johannes Hebebrand, Essen und Dr. med. Volker Reissner, Essen (DGKJP)