Neurologen und Psychiater im Netz

Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen

Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Was ist Sucht / eine Suchterkrankung?

Substanzen wie Alkohol, Tabak, Coffein, bestimmte Beruhigungs- und Schlafmittel wie Benzodiazepine oder Barbiturate, flüchtige Lösungsmittel und illegale Drogen wie Cannabis, Ecstasy, Kokain und Heroin (Opioide) besitzen allesamt ein Suchtpotenzial. Das bedeutet, dass möglicherweise bereits ihr einmaliger, in jedem Fall aber ihr mehrmaliger Konsum der erste Schritt in eine Abhängigkeit sein kann. Kurzfristig wird mit dem Konsum eines Suchtmittels eine positive Wirkung erzielt, die oft als unbefriedigend empfundene Ausgangssituation wird scheinbar gebessert. Die anschließende „Ernüchterung" lässt einen Teufelskreis entstehen, der Wunsch nach einem erneuten Rausch rückt für den Betroffenen immer mehr in den Lebensmittelpunkt.

Eine Suchterkrankung basiert auf einer Fehlsteuerung des Belohnungssystems im Gehirn. Suchtmittel aktivieren verschiedene Botenstoffe, die zum Beispiel Wohlbefinden oder Euphorie auslösen. Dadurch lernt das Gehirn relativ schnell, ein bestimmtes Suchtmittel als positiven Reiz wahrzunehmen. Fehlt dieser Reiz, empfindet es eine Art Belohnungsdefizit – mit der Folge, dass der unkontrollierte Wunsch nach dem Suchtmittel entsteht. Sucht ist also keine Charakterschwäche, sondern eine Krankheit, die im Gehirn nachgewiesen werden kann.

Fast jede Sucht entwickelt sich über die psychischen Prozesse Erfahrung und Wiederholung an die sich der physiologische Prozess der Gewöhnung oder biologischen Toleranz anschließt. Unter biologischer Toleranz versteht man die Abnahme der Drogenwirkung bei wiederholter Einnahme. Sucht-Patienten kompensieren diesen Wirkungsverlust mit immer höheren Dosen. Ein weiterer Aspekt bei Süchten ist das Eintreten einer Gewohnheit: Der Substanz-Konsum gewinnt immer mehr Bedeutung und Funktion in verschiedenen Lebenslagen und Gemütszuständen.

Um von Suchtverhalten bzw. einem Abhängigkeitssyndrom zu sprechen, müssen im Laufe der letzten 12 Monate mindestens drei dieser sechs Kriterien erfüllt gewesen sein:

  • Starkes, unwiderstehliches Verlangen, ein bestimmtes Rauschmittel zu konsumieren,
     
  • verminderte Kontrollfähigkeit über Menge, Zeitpunkt und Dauer der Zufuhr,
     
  • körperliche Entzugserscheinungen,
     
  • stetige Dosissteigerung aufgrund der Toleranzentwicklung, 
     
  • wachsender Interessenverlust und zunehmende Bedeutung von Beschaffung der Substanz bzw. Erholung vom Konsum der Substanz,
     
  • anhaltender Konsum trotz nachweisbarer schädlicher gesundheitlicher oder sozialer Folgen.

Nach aktuellen Schätzungen gibt es in Deutschland:

  • gut 16 Mio. Raucher 
     
  • ca. 1,7 Mio. Alkoholabhängige
     
  • ca. 1,1 bis 1,4 Mio. Medikamentenabhängige
     
  • ca. 100.000 bis 150.000 Drogenabhängige („harte" Drogen wie Heroin)

Als „Nicht-stoffgebundene Abhängigkeiten" gelten Glücksspiel, Computerspiel- oder Internetsucht aber auch Arbeitssucht oder Sexsucht. Krankhaftes Stehlen (Kleptomanie) oder Brandstiften (Pyromanie) werden medizinisch nicht zu den Suchterkrankungen gezählt. Diese Verhaltensauffälligkeiten werden als Störungen der Impulskontrolle zusammengefasst, d.h. der Patient kann seine Handlungen nicht bewusst steuern. Körperliche Abhängigkeitsanzeichen treten im Gegensatz zu den meisten Suchterkrankungen nicht auf.

Fachliche Unterstützung: Dr. med. Anil Batra, Tübingen (DGPPN)