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Psychische Erkrankungen: sorgsame Diagnostik notwendig

Derzeit werden neue Diagnosemanuale für psychische Erkrankungen entwickelt. Dabei werden Konzepte, Grenzen und Definitionen psychischer Erkrankungen einer Revision unterzogen.

Derzeit werden neue Diagnosemanuale für psychische Erkrankungen entwickelt (das amerikanische DSM-5, der internationale ICD-11). Dabei werden Konzepte, Grenzen und Definitionen psychischer Erkrankungen einer Revision unterzogen. Die unmittelbar bevorstehende Veröffentlichung des neuen Diagnose-Handbuchs für psychische Störungen „DSM-5“ der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft hat eine kritische Debatte über die Diagnostik psychischer Erkrankungen ausgelöst. Die DGPPN plädiert dafür, nicht jedes seelische oder soziale Leid zur psychischen Krankheit zu erklären. Krankheitsdiagnosen sind auf medizinisch relevantes Leiden zu beschränken.

Professor Andreas Heinz, Vorstandsmitglied der DGPPN stellt klar: „Das DSM-5 ist zunächst ein nationales Diagnosesystem für die USA und dient als Grundlage der klinischen und epidemiologischen Forschung. Es ist aber auch für die Patientenversorgung in Deutschland von Bedeutung. Zwar kommt in deutschen Arztpraxen die ICD-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation zum Einsatz. Doch auch für sie ist eine Revision (ICD-11) in Vorbereitung, die sich mutmaßlich am amerikanischen Handbuch orientieren wird. Soweit absehbar wendet sich das DSM-5 teilweise gegen den beschriebenen Trend einer Ausweitung psychischer Erkrankungen. Einige Beschwerdebilder werden nicht in die Diagnoseleiste aufgenommen. Dazu gehören vor allem Risikozustände, zum Beispiel für Psychosen/Schizophrenie oder das Burnout-Syndrom. Die DGPPN begrüßt diese Entscheidungen.“

DGPPN-Past-President Professor Peter Falkai macht jedoch auf zwei Entwicklungen aufmerksam, die aus Sicht der DGPPN im DSM-5 kritisch zu beurteilen sind – die geplante Einführung bestimmter neuer Krankheitsdiagnosen und die damit verbundene Verschiebung von diagnostischen Grenzen zwischen „krank“ und „gesund“: „So plant DSM-5 zum Beispiel, eine mehr als zweiwöchige Trauerphase nach dem Tod eines nahestehenden Menschen der Krankheit Depression zuzuordnen. Das DSM-5 führt begründend an, dass für Menschen, die in der Trauer Hilfe suchen, Beratung und Therapie angeboten werden können. Der Preis allerdings ist, dass in diesem Fall das natürliche Nachlassen der Trauerempfindung und die meistens erhaltene Fähigkeit zur Selbstregulation ignoriert werden. Dies kann dazu führen, dass nicht nur in besonders schweren Ausnahmefällen, sondern bei einer zunehmenden Zahl trauernder Menschen eine krankheitsrelevante psychische Störung diagnostiziert wird.“

DGPPN-Präsident Professor Wolfgang Maier ergänzt: „Die Einführung neuer Diagnosen psychischer Störungen und die Vermehrung und Ausweitung der Grenzen psychischer Störungen kann zu einer Medikalisierung von Problemen unserer Gesellschaft und aller psychischer Leidenszustände führen. Aus Sicht der DGPPN ist festzustellen, dass einige der im DSM-5 neu geplanten psychischen Beeinträchtigungen keinen Krankheitswert besitzen, weil sie natürliche Anpassungs- oder Alterungsprozesse abbilden. Die resultierenden Leistungsansprüche bei einer solchen Ausweitung des diagnostischen Spektrums überlasten das medizinische Versorgungssystem und gefährden damit eine gerechte Verteilung der begrenzten und „gedeckelten“ Ressourcen unseres Gesundheitswesens – v.a. zum Nachteil jener psychisch schwer erkrankter Menschen, die unbedingt einer sachgerechten medizinischen Hilfe benötigen.“

Quelle: DGPPN-Pressemitteilung