Kein Patient ist gleich, viele Betroffene sind intelligenzgemindert. Deshalb müssen Ärzte und Eltern die Therapie individuell auf das Kind abstimmen. Wichtig ist in jedem Fall eine frühe Förderung - so werden nach und nach kleine Fortschritte sichtbar.
Wer einen Menschen mit Autismus kennt, kennt nur den Autismus eines Menschen. So etwa umschreibt Heidemarie Bach die Situation, wenn sie ihr pädagogisches Konzept zur Förderung von Menschen mit Autismus erklären möchte. Denn jeder Patient sei anders, betont die Leiterin der Autismusambulanz Leipzig. Nur wenn unterschiedliche Methoden miteinander verknüpft und auf die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse eines einzelnen Patienten abgestimmt werden, gebe es auf lange Sicht kleine Erfolge. Ein Patentrezept für die Therapie von Autisten existiert jedoch nicht. Bei vielen autistischen Störungen sei eine intensive frühe Förderung sinnvoll, sagt Prof. Christine Freitag, Leiterin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Frankfurt. Diese Phase beginnt etwa ab dem dritten Lebensjahr. Dabei werde anfangs auf Eins-zu-eins-Unterricht gesetzt, später dann die Therapie in der Gruppe fortgeführt.
Zentral ist eine verhaltenstherapeutische Förderung: „Das Kind soll etwa lernen, ruhig am Tisch sitzen zu bleiben oder zuzuhören, wenn ein anderer mit ihm spricht.“ Daneben lerne es spielend, mit anderen Menschen zu interagieren und sich mitzuteilen. Neu gelerntes Verhalten wird durch Lob und Belohnung verstärkt. So lässt sich ganz langsam eine Verbesserung erzielen. Wichtig sei aber, immer das Umfeld miteinzubeziehen. „Das geht nur mit den Eltern zusammen.“
Steffi Schwab, Leiterin der Autismusambulanz Halle, weist auf die Unterschiede zwischen einzelnen Patienten hin: „Es gibt Förderungen, bei denen sich der Kollege ausschließlich darum bemüht, mit dem Kind in Kontakt zu kommen und innerhalb einer Stunde Blickkontakt und eine kurze interaktive Sequenz herzustellen“, erklärt sie. Kinder mit einer hochfunktionalen autistischen Störung werden dagegen sehr früh in kleinere Kindergruppen integriert, in denen gezielt die soziale Interaktion gefördert wird, ergänzt Freitag. Und Jugendliche mit Asperger-Syndrom brauchen keine sprachliche Frühförderung, weil sie nicht in ihrer Sprachentwicklung eingeschränkt sind. Für sie bieten sich später zum Beispiel Sozialtrainingsstunden an, in denen gesellschaftliche Moralvorstellungen vermittelt und diskutiert werden.
Hat das Kind dank der Frühförderung gut sprechen gelernt und bringt es auch gute kognitive Voraussetzungen mit, geht es verstärkt um das soziale Verhalten, ergänzt Freitag. Die Kinder könnten zunehmend lernen, auch subtilere Aspekte zu begreifen. „Zwar werden sie meist Ironie nicht verstehen, aber man kann ihnen erklären, dass es so etwas gibt.“ Weist man sie dann in einer konkreten Situation auf die Ironie hin, lernen sie zum Beispiel, nicht jede Aussage wörtlich zu nehmen. Oft arbeiten die Therapeuten mit dem Patienten auch an sogenannten Schwerpunktsituationen, fügt Bach hinzu. So übe beispielsweise eine Pädagogin im Einzelsozialtraining mit einem Kind, wie man jemandem eine persönliche Frage stellt oder wie man etwas über sich selbst erzählt. In der Sozialtrainingsgruppe werden dann diese in der Einzelsituation erlernten Kommunikationswege mit anderen Kindern in der Begrüßungsrunde angewendet.
Wie die Therapie nach der Frühförderung weitergeht, hängt Freitag zufolge ganz entscheidend von der Ausprägung der autistischen Störung ab. In der Regel sei es sehr unwahrscheinlich, dass ein Kind tatsächlich noch sprechen lernt, wenn es bis zum sechsten Lebensjahr nicht gesprochen hat. Dann sollte die Förderung eine andere Richtung einschlagen. Über Bildkarten und mit Hilfe von Gesten werde versucht, trotzdem die Kommunikation und soziale Interaktion zu fördern.Die Erfolge von Förderung und Therapie sind am Ende ebenso individuell wie die autistische Störung selbst. Ein Mensch entwickelt Lautsprache, nachdem er jahrelang nichtsprechend war. Ein junger Mann kann eine Beziehung eingehen, ein Schüler schafft den Schulbesuch ohne Schulbegleitung. Ein Kind kann Aggressionen von Personen auf einen Knautschball umlenken oder ein Junge kann mit Hilfe von Bildkarten seine Wünsche äußern. „So und ähnlich sehen Erfolge unserer Arbeit aus“, sagt Schwab. Manchmal seien diese fast nicht sichtbar. Aber manchmal mache jemand auch einen riesigen Sprung, der nicht zu erwarten war.
Die Frühförderung vor der Grundschule wird nach Angaben derKinder- und Jugendpsychiaterin Prof. Christine Freitag über das Sozialamt finanziert. Ab dem Alter von etwa sechs Jahren übernehmen Krankenkassen die Gruppentherapie.
Quelle: dpa