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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Stigmatisierung fördert psychische Erkrankungen bei Homosexuellen

Die Entwicklung der eigenen Sexualität ist ein wesentlicher Bestandteil des Erwachsenwerdens. Entspricht die eigene sexuelle Orientierung nicht der mehrheitlichen heterosexuellen Ausprägung, kann es in der Entfaltung mitunter zu massiven Konflikten kommen.

Die Entwicklung der eigenen Sexualität ist ein wesentlicher Bestandteil des Erwachsenwerdens. Entspricht die eigene sexuelle Orientierung nicht der mehrheitlichen heterosexuellen Ausprägung, kann es in der Entfaltung mitunter zu massiven Konflikten kommen. „Unsere Gesellschaft ist durch heterosexuelle Normvorstellungen geprägt. Homo- und Bisexuelle sind permanent damit konfrontiert, dass sie diesen allgegenwärtigen Normen nicht entsprechen. Die Formen von Diskriminierung sind vielfältig und reichen von Zuschreibungen von Stereotypen und Vorurteilen bis hin zu offenen homophoben Übergriffen und Verfolgungen wie psychische Gewaltanwendung bis hin zu körperlichen Übergriffen“, berichtet Dr. Lieselotte Mahler von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). „Diese direkt oder indirekt erfahrene Diskriminierung geht mit einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen einher.“ Insbesondere im Jugend und jungen Erwachsenenalter werden sämtliche Faktoren, die die soziale Integration beeinträchtigen, mit einem besonders hohen Leidensdruck wahrgenommen. Jede Form der sozialen Diskriminierung kann schlimme Auswirkungen auf eine gesunde Entwicklung haben und das Selbstwertgefühl erheblich beeinträchtigen.

Sexuelle Orientierung ist nicht die Ursache für psychische Probleme

Untersuchungen haben gezeigt, dass Homosexuelle gegenüber der Allgemeinbevölkerung häufiger psychisch erkranken und im Jugend- und jungen Erwachsenenalter eine höhere Rate an Suizidversuchen aufweisen. „Aufgrund von negativen Erfahrung zu einer sexuellen Minderheit zu gehören (sog. Minority-Stress-Modell) ist das Risiko psychische Störungen zu entwickeln bei gleichgeschlechtlich orientierten Menschen weiter verbreitet als unter Heterosexuellen. Im Vergleich kommt es häufiger zu Depressionen, Angsterkrankungen oder auch problematischen Suchtverhalten - insbesondere Alkoholabhängigkeit“, ergänzt Prof. Dr. Götz Mundle von der DGPPN. „Psychische Probleme und Erkrankungen sind jedoch dabei nicht auf die sexuelle Orientierung an sich zurückzuführen, sondern einerseits auf die Einschränkungen und Konflikte in einem diskriminierenden Umfeld und andererseits durch Selbststigmatisierung, der so genannten internalisierten Homophobie. Dabei werden gesellschaftliche verankerte negative Ansichten über Homosexualität verinnerlicht, was in einem schmerzlichen Widerspruch zur eigenen Identität steht. Selbstentwertung sowie ausgeprägte Schuld- und Schamgefühle sind oft Folgen des Erlebens und fördern psychische Erkrankungen.“ Nicht zuletzt stellt in vielen Fällen das „Coming-out“ eine erhöhte Stressbelastung dar, welches oft ein lebenslanger Prozess und kein einmaliger Vorgang ist. So gehen Begegnungen in unterschiedlichen Kontexten (familiär, beruflich, Freundeskreis) immer wieder mit zum Teil angst- und schambesetzten „Coming-out-Entscheidungen“ und deren Bewältigung einher.

Homosexuelle benötigen keine besonderen Therapieangebote

 

Die Diagnose und Behandlung von psychischen Erkrankungen bei gleichgeschlechtlich orientierten Menschen erfolgt unabhängig von deren sexueller Orientierung. Bei einer Therapie - beispielsweise bei Angst oder Depression - kann es jedoch von Vorteil sein, einen Therapeuten zu wählen, der spezielles Wissen im Bereich «sexuelle Vielfalt» hat und mit den verschiedenen Lebenswelten vertraut ist. „In der Therapie ist es wichtig, dass die sexuelle Orientierung nicht in Frage gestellt wird, sondern die Patienten vielmehr darin unterstützt und bestärkt werden, ihre Lebensweise anzunehmen, sich selbst besser zu verstehen und mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln. Auch ist es gut, Betroffene zu befähigen, sich einen aktiven und selbstwertstärkenden Umgang mit gesellschaftlichen Vorurteilen zu erarbeiten“, meint Dr. Mahler. Professionelle Therapeuten sollten grundsätzlich in der Lage sein, sensibel etwa mit der kulturellen Herkunft, der Religion, dem sozioökonomischen Status, der sexuellen Orientierung oder dem Alter ihrer Klienten umzugehen und spezifische Lebenszusammenhänge in der Behandlung zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist es wünschenswert, dass der Vielfalt und Beschaffenheit sexueller Orientierungen mehr Bedeutung in Ausbildung und Studium von Therapeuten zukommt.

Im kommenden November findet in Berlin Europas größte Fachtagung auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit statt. Über 650 Einzelveranstaltungen stehen auf dem Programm des DGPPN Kongresses 2015 (www.dgppn.de/kongress), darunter auch ein Infotag für Schülerinnen und Schüler mit dem Motto „Die eigene Rolle finden“ – u.a. mit dem Thema „Lesbisch, schwul oder trans – na und? Variationen in der geschlechtlichen Entwicklung“.

DGPPN-Kongress Schülerveranstaltungen: www.dgppn.de/en/kongress/programm/schuelerveranstaltungen.html

Mehr Informationen zu psychischen Erkrankungen unter:


www.psychiater-im-netz.org