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Forschung: Impfung mit Schlamm-Bakterien wirkt gegen stressbedingte Erkrankungen

Die Immunisierung mit Umweltbakterien scheint Posttraumatische Belastungsstörungen sowie weitere stressbedingte Erkrankungen zu verhindern. Dies haben Forscher um Prof. Stefan Reber im Mausmodell nachgewiesen. Ihre Forschungsergebnisse stützen die so genannte Old-Friends-Hypothese: Demnach kommen entzündliche körperliche und psychische Krankheiten in Gesellschaften mit wenig Kontakt zu den Umweltbakterien, die sich beispielsweise in Gewässern oder im Schlamm finden, häufiger vor. Sollte sich der positive Effekt der "Impfung" in klinischen Studien bestätigen, wären von Posttraumatischen Belastungsstörungen bedrohte Soldaten eine mögliche Zielgruppe.

Eine „Impfung“ mit Bakterien, die beispielsweise in Gewässern oder im Schlamm vorkommen, könnte Posttraumatischen Belastungsstörungen sowie weiteren stress- und traumaassoziierten Erkrankungen vorbeugen. Einen Fachbeitrag über die schützende Wirkung des Mycobacteriums vaccae bei Mäusen haben Forscher um Professor Stefan Reber von der Ulmer Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Fachmagazin PNAS veröffentlicht. Die Studie zeigt einmal mehr: Umweltbakterien, denen der Mensch dank moderner sanitärer Maßnahmen und Antibiotika immer seltener ausgesetzt ist, regulieren das Abwehrsystem und verhindern überschießende Immunreaktionen bei Stress. Gemäß der so genannten Old-Friends-Hypothese kommen körperliche und psychische „entzündliche“ Erkrankungen, die durch Stress ausgelöst werden, in Gesellschaften mit geringem Kontakt zu diesen Mikroorganismen vermehrt vor.

„Old friends“ fördern Toleranz des Immunsystems

Unsere Vorfahren waren ihnen ständig ausgesetzt: Umweltbakterien, so genannten alten Freunden („old friends“), die die körpereigene Abwehr zu tolerieren lernt. Fehlt dieser Gewöhnungseffekt, wird das Immunsystem durch jeden Reiz beziehungsweise Stressor aktiviert. Ob sich solche Reaktionen durch eine „Impfung“ mit inaktivierten Umweltbakterien verhindern lassen, hat die internationale Forschergruppe im Mausmodell untersucht. Für diese Vermutung gab es verschiedene Anhaltspunkte: „Bereits 2002 haben Forscher gezeigt, dass eine Atemwegsinfektion bei Mäusen durch die Immunisierung mit den Umweltbakterien abgeschwächt werden konnte – veranlasst durch die Regulierung des Abwehrsystems“, berichtet Erstautor Stefan Reber. Weitere Studien beschreiben, dass Mycobacterium vaccae eine stimmungsaufhellende Wirkung hat und eine aktive Stressbewältigung („Coping“) fördert.

Stress-Bewältigung wird durch Umweltbakterium gefördert

Um ihrer Forschungsfrage nachzugehen, haben die Wissenschaftler männliche Mäuse mit inaktivierten Bakterien immunisiert. Dann brachten sie diese Tiere und eine Kontrollgruppe in eine psychosoziale Stresssituation, der sie auch in freier Wildbahn begegnen können: Die Nager wurden in einen Käfig zu einer älteren, männlichen Maus gesetzt, die diesen als ihr Territorium betrachtete. Im Zuge der Revierkämpfe zeigten die „ungeimpften“ Tiere einen passiven Umgang mit der Stresssituation, gekennzeichnet durch unterwürfiges und ängstliches Verhalten. Außerdem entwickelten sie eine Darmentzündung. Der Effekt der „Impfung“ überraschte selbst die Wissenschaftler: „Als Beobachter konnte man sofort erkennen, welche Mäuse immunisiert worden waren. Sie zeigten fast keine Unterwürfigkeit gegenüber dem dominanten Männchen, also eine sehr aktive Stress-Bewältigungsstrategie. Im Vergleich mit der Kontrollgruppe ließen sich in der Videoanalyse außerdem nur halb so viele Flucht- und Vermeidungshandlungen nachweisen“, erklärt Reber. Im Vergleich mit der Kontrollgruppe zeigten die immunisierten und chronisch gestressten Mäuse außerdem weniger Ängstlichkeit und entwickelten keine Darmentzündung. Demnach scheint die Immunisierung mit dem Umweltbakterium die Stress- und Trauma-Resilienz zu fördern.

Weitere Untersuchungen ergaben, dass sich das Darm-Mikrobiom bei allen gestressten Mäusen verändert hatte und nun Entzündungen begünstigt. Allerdings schützte die „Impfung“ mit dem Umweltbakterium und die damit einhergehende Immunregulation die behandelten Mäuse vor entzündlichen Prozessen. Dies gilt womöglich auch für psychische Erkrankungen mit entzündlicher Komponente. Sollte sich dieser Zusammenhang in klinischen Studien beim Menschen bestätigen, wären von Posttraumatischen Belastungsstörungen bedrohte Soldaten eine mögliche Zielgruppe für die Immunisierung mit Mycobacterium vaccae.

Forscher haben bereits nachgewiesen, dass Landbewohner weniger Asthma haben und seltener an Depressionen erkranken. Ob letzterer Zusammenhang auf die „Old-Friends-Hypothese“ zurückzuführen ist, will Reber in einer Folgestudie untersuchen, für die er noch Probanden sucht. Weiterhin werden die Wissenschaftler prüfen, ob eine orale Gabe der inaktivierten Umweltbakterien möglich ist und welchen Effekt eine Immunisierung hat, wenn bereits eine psychische Erkrankung besteht.

Die Co-Autorenschaft der aktuellen Studie haben Forscher der University of Colorado (Boulder, USA). Außerdem waren Wissenschaftler der University of Wisconsin (Madison, USA), der University of California (San Diego, USA) und vom University College London (UK) beteiligt.

Literatur: www.pnas.org/content/early/2016/05/11/1600324113.abstract

Quelle: Universität Ulm