Neurologen und Psychiater im Netz

Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen

Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Schulangst verbirgt sich oft hinter körperlichen Symptomen

Für manche Kinder ist die Schule ein Ort, an dem sie Ängste erleben, die sehr belastend und einschränkend sein können. Seelische Aufregung kann sich dann auch in organischen Beschwerden zeigen, wobei die betroffenen Kinder Symptome wie Unwohlsein oder Schmerzen meist nicht mit Sorgen oder Angst vor der Schule in Zusammenhang bringen.

Die alltägliche Schulsituation kann für manche Kinder mit großer Angst besetzt sein. Als Ursachen der Angst kommt entweder Sorge vor unerfüllbaren Leistungsanforderungen infrage oder auch soziale Angst, die mit ausgeprägter Scheuheit im Sozialkontakt einhergeht. Ruft die tägliche Schulpflicht bzw. bereits der Gedanke daran psychische und/oder psychosomatische Reaktionen hervor, sollte eine so genannte Schulangst in Erwägung gezogen werden. Sie kann sich durch Vermeidungsverhalten von Kindern zeigen und häufig auch in Form körperlicher Beschwerden. „Ängstliches Verhalten äußert sich beispielsweise so, dass sich das Kind am Morgen nicht anziehen will, lustlos wirkt oder auch sehr trödelt und den Wunsch hat, nicht zur Schule zu gehen. Manche Kinder reagieren auch vorwurfsvoll und sind etwa der Meinung, dass der Lehrer zu streng ist oder dass Mitschüler gemein sind. Häufig klagen betroffene Kinder aber über körperliche Symptome wie Bauch- oder Kopfschmerzen. Dabei täuschen die Kinder diese Schmerzen in der Regel nicht vor, sondern empfinden sie tatsächlich. Seelische Aufregung kann sich durchaus in organischen Beschwerden wie Schmerzen zeigen. Die Kinder spüren ihr Unwohlsein oder die Schmerzen, bringen dies aber nicht mit Sorgen oder der Angst vor der Schule in Zusammenhang“, berichtet Dr. Ingo Spitczok von Brisinski vom Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland (BKJPP). Bei schwereren Fällen kann eine Angststörung leicht chronisch werden und sich tief in die Persönlichkeitsstruktur einprägen. Daher ist es sehr wichtig, den Kindern früh zu helfen, die Auslöser der Angst zu identifizieren und besonnen gegenzusteuern.

Versagensängste bei Leistungen oder in sozialen Situationen

Zu den häufigsten Ursachen für Schulangst gehört ein Gefühl der Überforderung. Es kann aufgrund von Defiziten, Rückständen durch längere Abwesenheit, der falschen Schulform oder einer überhöhten Erwartungshaltung der Eltern auftreten. „Auch individuelle Lernschwierigkeiten können zu Prüfungs- und Versagensangst führen. Hierzu zählen Teilleistungsschwächen wie die Lese-Rechtschreibstörung oder Rechenschwäche sowie Lernstörungen im Rahmen einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung. Möglicherweise liegt es aber auch an einer falsch organisierten oder ungenügenden Vorbereitung“ ergänzt der Kinder- und Jugendpsychiater. Kinder mit Teilleistungsschwächen oder Lernbehinderung erleben im schulischen Kontext oft von Anfang an Misserfolge, wodurch die Lernmotivation sowie auch das Selbstwertgefühl beeinträchtigt werden. Sie erleben Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Kontrollverlust und ihre Angst besteht in dem Gefühl, sie könnten versagen.

Nicht selten beruht die Ängstigung aber nicht auf der Sorge um die Leistungsfähigkeit, sondern auf einer gesamten Verunsicherung, durch die mit der Unterrichtssituation verbundenen sozialen Verhältnisse und damit einhergehende Ängsten. „Manche Kinder entwickeln schon früh soziale Ängste gegenüber anderen Kindern, fürchten sich vor Bewertungssituationen und damit einhergehenden Kränkungserlebnissen. Sie sind meist schüchtern, introvertiert bis depressiv und besitzen manchmal nicht die Fähigkeit, sich gegen andere Kinder durchzusetzen. Deswegen werden sie nicht selten zu Mobbingopfern, was den Leidensdruck weiter verstärken kann“, erklärt Dr. Spitczok. Die Angst vor Fehlbarkeit und Ablehnung kann ein Vermeidungsverhalten fördern, das auch soziale Aktivitäten außerhalb der Schule betrifft.

Ursachenklärung und Hilfsmaßnahmen wichtig

Bei leichten Formen der Schulangst reicht oft ein Beratungsgespräch mit den Eltern aus, damit sie ihr Kind besser unterstützen können und mehr Sicherheit im Umgang mit der schwierigen Situation bekommen. Liegt eine schwere Schulangst vor, kann eine längerfristige Therapie nötig sein, bis hin zur stationären Aufnahme des Kindes. Um eine schulische Überforderung ausschließen zu können, ist eine Leistungs- und Intelligenzdiagnostik anzuraten. Eine solche Untersuchung kann beim Kinder- und Jugendpsychiater erfolgen. „Sollten Kinder mit dem Unterrichtsstoff nicht zurechtkommen, sind Nachhilfe oder außerschulische Lerntherapie Optionen - in schwierigen Fällen sollte über einen Klassen- oder Schulwechsel nachgedacht werden“, rät der Experte. Liegen soziale Ängste vor, lassen sich diese durch positive soziale Erfahrungen schrittweise und behutsam abbauen. In ausgeprägten Fällen ist eine Untersuchung durch einen Facharzt angezeigt, der zum Beispiel eine angstspezifische Diagnostik mithilfe von Interviews und Fragebögen durchführt. „Zur Förderung von Selbstwert, Kontaktfähigkeit, sozialen Kompetenzen und der Frustrationstoleranz kann dann eine kognitive Verhaltenstherapie oder ein Gruppentraining sozialer Kompetenzen empfohlen werden“, rät der Kinder- und Jugendpsychiater.

Schulangst ist ein Phänomen, das unabhängig vom Geschlecht ist und sich quer durch alle Schultypen zieht. Auch eine Schulphobie kann vorliegen, wenn Kinder nicht in die Schule gehen möchten. Dabei handelt es sich um ein Vermeidungsverhalten ohne direkten Bezug zur Schulsituation. Hier spielt vielmehr Trennungsangst von den Bezugspersonen die zentrale Rolle.
Man geht davon aus, dass es bei etwa 10 bis 20 Prozent der Schüler in Deutschland zu Schulvermeidung kommt. Ängstlich motiviertes schulvermeidendes Verhalten tritt häufiger auf, wenn Schulwechsel oder neue Schulsituationen anstehen. Das betrifft vor allem die Altersgruppen der 6-Jährigen (Einschulung) und 10- bis 11-Jährigen (Wechsel in höhere Schule).

(äin-red) Der Abdruck dieser Pressemeldung oder von Teilen des Artikels ist unter folgender Quellenangabe möglich: www.kinderpsychiater-im-netz.org. Bei Veröffentlichung in Online-Medien muss die Quellenangabe auf diese Startseite oder auf eine Unterseite des Patientenportals verlinken. Fotos und Abbildungen dürfen grundsätzlich nicht übernommen werden.