Neurologen und Psychiater im Netz

Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen

Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Online-Mobbing-Opfer verinnerlichen Abwertung durch andere

Social Bashing ist eine Form von Aggression, die überwiegend über das Internet ausgetragen wird. Häufige Attacken durch absichtliches Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen können unter Umständen schlimmere Folgen für die psychische Gesundheit haben als körperliche Übergriffe oder Beschädigungen des Eigentums.

Die Bandbreite von alltäglichen Gewalttaten im Umfeld der Schule ist groß und beschränkt sich nicht auf körperliche Gewalt. Social Bashing (engl.: öffentliche Beschimpfung, Beleidigung) ist eine Form von Aggression, die überwiegend über das Internet ausgetragen wird. Sie erfolgt über Messenger-Dienste wie «Whats App», soziale Netzwerke wie «Facebook» oder über andere Webformate wie Blogging- und Video-Plattformen oder Chats. Sind Personen wiederholt und systematisch aggressiven Akten eines oder mehrerer Täter ausgesetzt, spricht man von Mobbing oder im Kontext des Internets auch von Cyber-Mobbing. Häufige Attacken durch absichtliches Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen können unter Umständen schlimmere Folgen für die psychische Gesundheit haben als körperliche Übergriffe oder Beschädigungen des Eigentums. „Gewalt über Online-Medien beschädigt nicht unmittelbar die Physis einer Person, sondern bedient sich verletzender Worte, Bilder, Videos und Kommentare. Die Attacken zielen darauf ab, das soziale Ansehen, den Ruf oder das Image eines Menschen zu beschädigen. Diese Angriffe sollen das individuelle Selbstwertgefühl einer Person treffen und verletzen“, berichtet Dr. Regula Hotz, Sprecherin der Schweizerischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (SGKJPP) mit Sitz in Bern. „Durch Kränkung, Verletzung, Demütigung oder Abwertung wird der betroffenen Person ein Stück weit die Möglichkeit genommen, sich in den Augen ihrer Mitmenschen als wertvoll zu erfahren. Häufen sich solche Angriffe, können die Opfer diese Abwertung verinnerlichen und Gefühle der Wertlosigkeit für sich selbst entwickeln. Diese Art negativer Gedanken kann dann die Entstehung von Angsterkrankungen, Depressionen und anderen Störungen bis hin zur Suizidalität begünstigen und sehr langfristige Folgen haben.“ Das Selbstwertgefühl eines Menschen wird stark durch die Akzeptanz des sozialen Umfelds geprägt. Dabei ist die Akzeptanz durch die Gleichaltrigen-Gruppe gerade bei Jugendlichen von besonderer Wichtigkeit. Sie leben deutlich (zeit-)intensiver in der sozialen Gruppe als alle anderen Altersgruppen. In diesem Alter ist zudem die Persönlichkeit noch zu wenig ausgereift, um Gefühle wie Scham und Hilflosigkeit adäquat bewältigen zu können. Alle Faktoren, welche die Akzeptanz, die soziale Integration und den Selbstwert beeinträchtigen, werden daher im Kindes- und Jugendalter mit besonders hohem Leidensdruck wahrgenommen.

Online-Mobbing lässt Opfern kaum Rückzugsmöglichkeiten und Handlungsspielraum

Beim Online-Mobbing hat sich der Raum und das Kommunikationsrepertoire erweitert indem Konflikte ausgetragen werden. Zudem sind die Möglichkeiten für die Opfer sehr begrenzt, einmal im Internet veröffentlichte Inhalte selbsttätig wieder zu entfernen und durch aktives Handeln Vorgänge beeinflussen zu können. Betroffene können sich gegen Cyber-Mobbing von Gleichaltrigen allein oft nur schwer wehren. „Besonders problematisch ist, dass Betroffene nicht nur in der Schule, sondern rund um die Uhr angegangen werden können und einen pausenlosen Druck aushalten müssen. Daheim zu sein bietet also keinen Rückzugsraum vor Mobbing-Attacken“, ergänzt Frau Dr. Hotz. „Auch können sich diffamierende Äußerungen oder Bilder über entsprechende Kanäle extrem schnell verbreiten und lassen sich bei einem unüberschaubar großen Publikum nur schwer wieder aus der Welt schaffen. Damit nehmen Schamgefühle und auch Gefühle von Hilflosigkeit zu.“

Folgen der Gewalt sind für Täter zu intransparent

Gewaltakte sind oft gruppendynamische Prozesse. Der öffentliche Charakter dieser Gewaltform begünstigt das Entstehen von sich aufschaukelnden Prozessen. Mit zunehmender Anzahl an teilnahmslosen Zuschauern oder Mittätern nimmt das Gefühl der Eigenverantwortung ab. Die Anonymität im Netz enthemmt zudem, und Kinder und Jugendliche haben oft nicht das Gefühl, etwas wirklich Böses zu tun, wenn sie andere beleidigen. „Bei Gewaltakten über Online-Medien findet eine Entkoppelung von verletzender Handlung und dem direkten Miterleben seitens der Täter statt. Für die Täter entfällt die Möglichkeit der Verhaltensbeobachtung, die Verletzung des Opfers wird für sie nicht sichtbar. Diese Distanz erschwert eine empathische Reaktion und bei Tätern bleiben die Impulse aus, die Attacken zu beenden.“ Mobbing und Cyber-Mobbing sind jedoch in der Mehrheit der Fälle nicht voneinander zu trennen, weil sie oft gleichzeitig bestehen bzw. nacheinander auftreten.

Moralische Normen müssen auch im Internet gelten

Das Internet und seine kommunikativen Anwendungen wie Messenger-Dienste, Chatrooms oder soziale Netzwerke sind für Kinder und Jugendliche ein zentrales Medium im Alltag. Bevor Kinder und Jugendliche diese Medienangebote eigenverantwortlich nutzen, sollten sie ausreichend Erfahrungen mit dem Internet gemacht haben und über vorhandene Risiken oder rechtliche Fragestellungen aufgeklärt sein. „Kindern und Jugendlichen sollte klar sein, dass bei der Kommunikation via Online-Medien die gleichen Regeln gelten wie von Angesicht zu Angesicht. Stellen Eltern bei ihren Kindern eine beleidigende Wortwahl fest, sollten sie mit ihnen darüber sprechen“, rät die Kinder- und Jugendpsychiaterin. „Sie sollten einerseits die Fähigkeit haben, sich angemessen mit anderen Personen auszutauschen und andererseits auch in der Lage sein, eigene und fremde Inhalte kritisch betrachten zu können.“ Auch vor dem Hintergrund, dass es nur schwer möglich ist, problematische Inhalte aus dem Internet oder von Handys wieder zu entfernen, ist Vorbeugung besonders wichtig. Hierfür ist es hilfreich, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass das Internet zwar ein bereicherndes Medium ist, dabei aber vordergründig keine problemlösende, emotionsregulierende Aufgabe übernehmen sollte.

(äin-red) Der Abdruck dieser Pressemeldung oder von Teilen des Artikels ist unter folgender Quellenangabe möglich: www.kinderpsychiater-im-netz.org. Bei Veröffentlichung in Online-Medien muss die Quellenangabe auf diese Startseite oder auf eine Unterseite des Patientenportals verlinken. Fotos und Abbildungen dürfen grundsätzlich nicht übernommen werden.